Colonia Dignidad: Geflüchteter Sekten-Arzt lebt in Krefeld von Sozialhilfe
Deutsche Strafverfolgungsbehörden haben an Hartmut H. (66) noch kein Interesse.
Krefeld. Um einer fünfjährigen Haftstrafe wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern zu entgehen, hat sich der frühere „Außenminister“ der Sekte Colonia Dignidad von Chile nach Deutschland abgesetzt. Vor über drei Monaten reiste Hartmut H. (66) mit seiner Frau via Argentinien und Paraguay nach Europa. Angeblich soll H. über beträchtliche Mittel verfügen. Tatsächlich bezieht H. ganz legal Sozialhilfe.
Der 66-jährige in den USA ausgebildete Arzt hat bis vor kurzem im niederrheinischen Willich gewohnt. Jetzt zog es ihn nach Krefeld. Nach einem gescheiterten Versuch — der Vermieter machte sich vorsorglich im Internet über den Interessenten schlau — bezieht das Ehepaar H. im Augenblick eine unauffällige Mietwohnung in Stadtteil Linn.
„Wir haben an Herrn H. kein Interesse“, verkündeten Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag unisono. Denn weder ein internationaler Haftbefehl noch ein Auslieferungsersuchen der chilenischen Justiz liege derzeit vor. Zudem dürfte der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach deutschen Strafrecht verjährt sein.
H. soll den 2010 in einem chilenischen Justizgefängnis im Alter von 88 Jahren gestorbenen Sektengründer Paul Schäfer auch bei anderen Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen geholfen haben.
Der internationale Haftbefehl, den ein chilenischer Richter laut Medienberichten am vergangenen Freitag beantragt hat, bezieht sich allerdings auf die Entführung und Ermordung von drei Gegnern des früheren Pinochet-Regimes. Die beiden Männer und eine Frau sind spurlos verschwunden.
Einer Kleinen Anfrage (Drucksache 17/6401) mehrerer Bundestagsabgeordneter zufolge sollen christdemokratische chilenische Politiker bei einem Deutschland-Besuch im Mai 2011 in Gesprächen mit Bundeskanzlerin Merkel und Bundestagspräsident Lammert um die Auslieferung von Hartmut H. gebeten haben. Der 66-Jährige war am Donnerstag für unsere Zeitung nicht zu sprechen. Seine Frau: „Er ist den ganzen Tag unterwegs.“