Stunde Null in Krefeld Die Rückkehr in den Alltag
Im Sommer 1945 kehrten viele Flüchtlinge zurück. Der Aufbau begann.
Krefeld. Der Krieg war kaum sechs Wochen vorbei, da hatten sich die Krefelder bereits an das neue Leben unter der Besatzung gewöhnt und den Wiederaufbau der stark beschädigten Stadt und der umliegenden Orte eingeleitet.
Doch hatten die Überlebenden des Krieges mit Hindernissen zu kämpfen: Viele Männer waren gefallen, andere in der Gefangenschaft oder vermisst. Es gab zwar Lebensmittelkarten, die die Versorgung sichern sollten, aber nicht immer auch ausreichend zu Essen für deren Inhaber. Statt mehr Lebensmitteln kamen aber erstmal mehr Menschen, die versorgt werden mussten. Die ersten Krefelder, die vor den Bomben nach Osten geflohen waren, kehrten nach wochenlanger Odyssee in die stark beschädigte Seidenstadt zurück. Darunter auch Friedhelm de Vries mit seiner Familie.
„An einem Sonntagmorgen im Juni kamen wir am Krefelder Bahnhof an“, erinnert sich de Vries heute. Dann ging es an der Josefkirche vorbei, wo die Menschen gerade von den Messe auf die Straße traten. „Was macht ihr denn hier?“ wurde Mutter de Fries mit ihren Kindern begrüßt. Mit einem Satz war diese Frage allerdings nicht zu beantworten, hatte die Familie — der Vater war zu der Zeit in Gefangenschaft — doch eine wahre Irrfahrt auf Lastwagen, in Zügen und vor allem zu Fuß hinter sich.
Aus der Gegend von Dresden, wohin sie Monate zuvor transportiert worden waren, hatten sie sich durchgeschlagen, in Scheunen geschlafen, bei Bauern um Essen gebettelt und von Schleusern waren sie über die grüne Grenze in andere Besatzungszonen gebracht worden. Sechs Wochen dauerte es, bis sie wieder an die vertraute St.-Töniser-Straße kamen.
Ähnliche Erlebnisse hat auch Waldtraut Bollmann, die die Bombardierung Dresdens miterlebte und der es lange schwerfiel, über die Erlebnisse des Jahres 1945 zu sprechen. Auf der Flucht an den Niederrhein sah auch sie Bilder, die sie nie wieder loslassen sollten. So erlebte sie bei Weimar, wie die US-Truppen die Einwohner der Goethestadt dazu zwangen, das nahe Konzentrationslager Buchenwald zu besichtigen. Erst nach vielen Umwegen landete sie mit ihren Verwandten am Niederrhein.
Doch für Verarbeitung und Bewältigung bleibt den Menschen in jenem Sommer 1945 kaum Zeit. Die Alliierten haben großes Interesse daran, dass der Alltag reibungslos funktioniert. Nach der Devise: Geht es den Menschen besser, wird keiner den Nazis nachtrauern.
Entsprechend schnell ist auch die Familie de Vries wieder gefragt: Der Kohlenhandel, der zwei Jahre zuvor als kriegswichtig vom Regime übernommen worden war, eröffnete wieder. „Wir bekamen sogar unseren Borgward-Lastwagen zurück, der auf dem Hof eines anderen Händlers den Krieg schadlos überstanden hatte“, erzählt Friedhelm de Vries. Dabei hatten sie zusätzliches Glück: Das Benzin war drastisch rationiert, aber der Lkw fuhr mit Gas. Und so kam das Geschäft schnell wieder in Schwung.
Am Nikolaustag erlebte der junge Friedhelm dann das, worauf andere Jahre warten mussten, manche sogar vergebens: „Im Laufe des Tages stand ein bärtiger Mann in der Tür — krank, abgemagert, einen Stock mit Bündel auf dem Rücken.“ Der Vater kehrte aus der russischen Gefangenschaft zurück. Wegen einer Verletzung war er entlassen worden, anstatt in Sibirien zum Arbeitsdienst eingesetzt zu werden. Für die Familie de Vries konnte der Wiederaufbau beginnen.