„Es war nicht wie in der Hölle“

Britta Merten, Chirurgin aus Krefeld, war nach dem Erdbeben zwei Wochen auf Haiti. Die Bedingungen des Einsatzes waren besser als erwartet.

Krefeld. "Nein", sagt die junge Frau mit der randlosen Brille energisch, "ich bin nicht aus der Hölle zurückgekehrt". Sie schüttelt den Kopf. "Für die Menschen in Port- au-Prince war es sicher die Hölle, wir aber konnten unter akzeptablen Bedingungen arbeiten und Hilfe leisten."

Hinter der Chirurgin Britta Merten liegen zwei Wochen medizinischer Einsatz auf Haiti. Die angehende Fachärztin vom Helios-Klinikum in Krefeld kam mit der Hilfsorganisation humedica (Kaufbeuren) rund eine Woche nach der Erdbebenkatastrophe am 12. Januar mit zehn Ärzten aus Deutschland auf der Karibik-Insel an. Mit an Bord der Air-Berlin-Maschine waren Tonnen von medizinischen Hilfsgütern.

Begonnen hatte ihr Einsatz mit einer SMS von humedica, in der nach Freiwilligen für Haiti gesucht wurde. Merten fragte bei ihren Vorgesetzten nach und diese wie die Helios-Verwaltung gaben innerhalb einer Stunde grünes Licht für den Einsatz der Ärztin. Sie erhielt ihre Freistellung, ohne dafür Überstunden oder Urlaub opfern zu müssen. "Da war ich platt. Ein dickes Dankeschön an die Klinik-Leitung und an meine Kollegen und Kolleginnen, die ja meine Arbeit übernehmen mussten."

Die 32 Jahre alte Medizinerin und ihre Kollegen mussten den Umweg über Porto Plata in der Dominikanischen Republik nehmen, ehe sie mit einem Uno-Konvoi in der völlig zerstörten Haiti-Hauptstadt Port-au-Prince eintrafen. Vor Ort herrschten nicht Chaos und Anarchie, wie es zu erwarten gewesen wäre. Humedica, das bereits mit einem ersten Mediziner-Team zwei Tage nach dem Beben in Port-au-Prince eintraf, hat dort in Zusammenarbeit mit der Duisburger Kindernothilfe für erste professionelle Strukturen gesorgt. Die Kindernothilfe ist mit einem ständigen Büro in Haiti vertreten und betreut dort rund 5000 Kinder in sechs Projekten.

Das Krankenhaus im Zentrum der Stadt, so schildert Britta Merten, war zumindest teilweise unzerstört. Das vorhandene medizinische Gerät konnte noch benutzt werden. Trotzdem: "Der erste Eindruck war wie in Afrika", sagte die Ärztin mit Äthiopien-Erfahrung. "Gestank und Schmutz. Am Flughafen klammern hungernde Kinder am Zaun und betteln um Nahrung."

Untergebracht ist das Hilfsteam in einem Klassenraum einer benachbarten Schule. "Aber wir haben dort nur unsere privaten Klamotten verstaut; geschlafen haben wir wegen der Nachbeben immer im Freien auf dem Campus."

Es machte sich bezahlt, dass die blonde Chirurgin ihre private Notfall-Ausrüstung dabei hatte: Isomatte, Schlafsack, Camping-Geschirr und andere Utensilien für das Notdürftigste. "Wir sind ja schließlich nicht in den Urlaub gefahren", sagt die Medizinerin.

Der Arbeitstag reichte von morgens um 7.30 Uhr bis zur Sperrstunde um 18 Uhr. Um 20 Uhr war eine Stunde Teambesprechung angesetzt und danach die Vorbereitung auf den kommenden Tag. "Unangenehm war nur, dass wir nur eine Dusche für rund 50 Leute hatten."

Ihre Arbeit bestand im Wesentlichen in der Behandlung von Quetschungen und Knochenbrüchen. Sie schraubten Fixateure an gebrochene Arme und Beine von Patienten, um diese zu richten. Deren Glieder konnten vorher nur mit Steinen oder gefüllten Wasserflaschen als Beschwerung gestreckt werden. Amputationen sind die weitere Aufgabe. Besonders nahe gegangen sei ihr eine Armamputation an einer 20 Jahre alten Medizinstudentin. "Sie wird danach niemals in ihrem Leben als Chirurgin arbeiten können", sagt Britta Merten.

Zunehmend zum Problem wird der oft medial begleitete Tourismus von Ärzten aus aller Welt, vornehmlich aber aus den USA. "Individualaktionismus" nennt Merten das Auftauchen von Medizinern, die sich nicht an Regeln halten, Strukturen durcheinander bringen, Platz und Patienten für sich beanspruchen.

Psychisch habe sie bisher das Abenteuer Haiti gut überstanden. "Ich habe von der Hölle ja nichts mitbekommen, wir waren ja kaum draußen in der Stadt und ich habe mich nicht schlecht gefühlt. Aber vielleicht kommt das noch." Kontakte nach Hause gab es während der zwei Wochen nicht. "Mein Handy tat’s nicht."