Hintergrund: Wie der Dahlmann-Skandal seinen Lauf nahm
Mehrere dumme Zufälle führten zum Fall des Oberstadtdirektors Dahlmann. Einer davon: Die Öffnungszeiten der Königsburg.
Krefeld. „Dann besuchen wir eben Alfredo“: Zu diesem Entschluss kommen am Abend des 26. Oktober 1988 die Tunesierin Jalila A. (23) und ihre marokkanische Freundin Fatima B. (22). Unverhofft stehen sie nämlich mit ihren männlichen Begleitern (aus Köln) vor der verschlossenen Tür der Diskothek Königsburg — die ist auch damals schon mittwochs nicht geöffnet.
Beide Frauen — die eine aus Ratingen, die andere aus Mülheim — kennen Alfred Dahlmann aus einem Szenetreff an der Düsseldorfer Kö, führen ihn als „Alfredo aus Krefeld“ im Notizbuch. Alfred Dahlmann öffnet den Frauen und ihren Begleitern die Tür zu seiner Zweitwohnung Carl-Wilhelm-Straße 31, einen Steinwurf vom Rathaus entfernt. Das Seidenweberhaus-Restaurant liefert — wie öfter für den bis spät in die Nacht arbeitenden Oberstadtdirektor — mehrere Essen ins Haus: diesmal Kalbfleisch mit Gemüse.
Es ist ein milder Herbstabend. Eine ältere Krefelderin führt ihren Hund Gassi. Wie sie später in der WZ-Redaktion stolz berichtet, hat Fiffi eine Lieblingslaterne, an der er das Bein zu heben pflegt — die direkt vor Dahlmanns Fenster. Und plötzlich hört Frauchen Schreie, sie klingelt eine Freundin heraus, die im selben Haus wohnt, mit der dringlichen Bitte, den Notarzt zu rufen. Zu den Ereignissen in der Wohnung ist von Dahlmann in der Folge wenig zu hören, mehr hingegen von den beiden gutaussehenden Nordafrikanerinnen, die der damals ermittelnde Staatsanwalt Klaus Gosse, längst verstorben, mehrfach vorlädt.
Fatima B. erleidet in der Wohnung einen Kollaps („Ich hatte wohl zuviel getrunken“, sagte sie später aus). Weil sich weder die Chauffeure noch Dahlmann um ihre Freundin kümmern, fängt Jalila an zu kreischen. Vermutlich trägt auch der Konsum von Cannabis zu mancher Reaktion an diesem Abend bei. Später findet die Polizei ein Plättchen Haschisch (3,75 Gramm) auf dem Wohnzimmertisch des Oberstadtdirektors.
Noch ehe der Rettungswagen der Feuerwehr — Dienstherr Dahlmann — eintrifft, eskaliert das Palaver. Die Hundebesitzerin steht immer noch an der Laterne und denkt: „Jetzt geht es einem Menschen ans Leben.“ Die Freundin lässt einen zweiten, dringlicheren Notruf los. Daraufhin setzt sich auch die Polizei in Bewegung zur Carl-Wilhelm-Straße, gleich neben dem dort heute noch existierenden Restaurant La Romantica. Als die Polizei mit einem Großaufgebot an Streifenwagen am „Tatort“ eintrifft, steht Alfred Dahlmann mit den beiden jungen Frauen auf dem Bürgersteig. Die beiden „gutaussehenden Jungs“, die die Nordafrikanerinnen in einem Düsseldorfer Schuppen „angemacht“ hatten, um sie zur Superdisko nach Krefeld zu fahren, hatten sich angesichts des Gezeters rechtzeitig „dünne“ gemacht.
Polizeibeamte entdecken das Haschisch-Plättchen sofort und bestellen Drogenspürhunde, um den Rest des Apartments beschnüffeln zu lassen. Doch da ist nichts mehr. Der Oberstadtdirektor muss mit zur Blutprobe. Sie ergibt später exakt 1,0 Promille. Cannabis hat er nicht genommen, die Droge auf dem Tisch will er nicht als solche wahrgenommen haben.
Schon am nächsten Mittag ist das Ereignis, dem selbst „Die Zeit“ einen längeren Zweispalter widmet (siehe Ausschnitt links), in halb Krefeld ’rum. Leitende Polizeibeamte halten nicht hinterm Berg, wem sie zu später Stunde einen Besuch abgestattet haben. Sofort geistern wildeste Geschichten über Sex- und Drogenexzesse in unmittelbarer Nähe des Rathauses durch den Blätterwald, von „Fotomodellen“, „Dirnen“ und „Prostituierten“ ist die Rede.
Doch das waren Jalila und Fatima sicher nicht — eher vergnügungs- und konsumsüchtige Mädchen, die sich in der Düsseldorfer Schickeria tummelten, um was oder wen abzukriegen. Interviews lehnten sie damals freundlich ab.
Ein Verfahren gegen Dahlmann oder sonstige Beteiligte des folgenschweren Treffens an diesem lauen Herbstabend hat es nie gegeben: Die Ermittlungen hat Klaus Gosse nach wenigen Wochen eingestellt.