Corona-Auswirkungen Krefelder Hotel bietet Homeoffice-Zimmer an - ein Selbstversuch

Krefeld · In einem Krefelder Hotel werden Zimmer für Homeoffice-Arbeiter angeboten, die in den eigenen vier Wänden keine Ruhe finden. Unser Autor hat das Angebot getestet - und einen begeisterten Nutzer getroffen.

Das Hotel Benger bietet Zimmer für Menschen an, die in Ruhe im Homeoffice arbeiten wollen, sowie Jürgen Hallstein.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Es ist ungewöhnlich ruhig. Die Angewohnheit, die Finger etwas stärker als nötig auf die Tastatur fallen zu lassen, fällt noch mehr auf als sonst. Den Laptop habe ich zwischen einer Kaffee-Kapsel-Maschine und einem kleinen Wasserkocher platziert, die auf dem einzigen Tisch im Zimmer bereitstehen. Schlichte moderne Holzoptik, auch ein Flachbildfernseher hat noch Platz. Das Zimmer ist geräumig. Ein Doppel- und ein Einzelbett stehen bereit. Vier Bilder mit auswechselbaren Naturmotiven sollen Ruhe ausstrahlen. Die sind nicht nötig. Aus dem Nebenzimmer ist dumpf ein freudiges Pfeifen zu hören. Wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass dort nun Zeit für eine Mittagspause ist. Das pfeifen gehört einem Unternehmensberater, der wie ich an diesem Vormittag das Angebot des Hotel-Restaurants Benger an der Uerdinger Straße mitten in Bockum nutzt: Seit Anfang April werden dort Zimmer für Homeoffice-Arbeiter angeboten.

Videokonferenzen erfordern
eine hohe Konzentration

Der größte Unterschied zu meiner eigenen Homeoffice-Situation: Die Ruhe. In den eigenen vier Wänden hätte ich mir einen Kaffee gemacht und hätte mich auf den erst kürzlich reaktivierten Gymnastikball am Wohnzimmertisch niedergelassen. Eine Zwischenlösung. Es gibt kein Arbeitszimmer. Stattdessen ist neues Leben mit Wucht eingezogen. Das kann das Arbeiten im Verlauf eines Tages wunderschön, aber manchmal auch anstrengend machen. Wunderschön, wenn die gerade mal 70 Tage alte Tochter einen mit einem Lächeln in den Tag schickt. Und ziemlich anstrengend, wenn kurz vor Abgabeschluss noch letzte Zeilen fehlen und der Nachwuchs sich gleichzeitig lautstark bemerkbar macht.

Der Nachwuchs des Nachbarn im Zimmer mit der Nummer 30 ist schon älter. Jürgen Hollstein steht im schwarzen Anzug vor zwei Stativen. Das eine trägt einen Laptop, das andere ein Tablet, schräg hinter sich hat er ein Flipchart aufgebaut. „Corona-Portfolio“ ist dort zu lesen. Der 56-Jährige ist Unternehmensberater und Trainer, erklärt er. Videokonferenzen erfordern mehr Konzentration als persönliche Treffen, weil das zwischen den Zeilen lesen schwieriger sei. Im persönlichen Gespräch könne er auch sehen, wie jemand die Füße platziert. Hollstein wirkt wie ein Kommunikationsprofi, der einem nach zwei Minuten erklären kann, welche Wirkung man warum im Gespräch erzielt.

Im Hotelzimmer führt er an diesem Tag unter anderem eine Videokonferenz mit einem Elektrogroßhändler. Später werde es zu einem persönlichen Termin in Köln gehen. Warum er das Angebot des Hotels nutzt? Es sei eine „coole Sache“, das Hotel habe sich auf seine Bedürfnisse eingestellt. Das Stichwort ist wieder Ruhe. Zuhause gebe es immer wieder Ablenkungen (seine Tochter ist 18 Jahre alt). Im Hotelzimmer habe Hollstein seine Ruhe, er könne einen Salat bestellen und das Bett für einen kurzes Power-Schläfchen zwischendurch nutzen. Das sei schließlich im Preis mit drin. 70 bis 80 Prozent seines regulären Arbeitspensums würden ihm in der Corona-Krise wegbrechen. Er plädiere aber dafür, die Krise als Chance zu sehen — beispielsweise für einen Sprung in Sachen Digitalisierung in den Schulen.

Mögliche Chancen zu ergreifen, hat sich auch Hotel-Inhaber Alain Michelis vorgenommen. Neben den Hotelzimmern für Homeoffice-Arbeiter, die zu Hause keine Ruhe finden, bietet er halbe Hähnchen oder Schnitzel zum Abholen an. Ein Ausgleich für die Einbußen sei das nicht. Stornierungen mit einem Gegenwert von rund 45.000 Euro habe er abwickeln müssen, Kurzarbeit für eine Mitarbeiterin beantragt. Trotz Corona-Einschränkungen seien aber noch Übernachtungen möglich. Es dürften zwar keine Urlaubsgäste übernachten, Monteure oder Geschäftsleute aber schon, so der 53-Jährige. Trotzdem ist die Auslastung nun viel geringer. Normalerweise seien 90 Prozent der 20 Zimmer unter der Woche belegt, nun seien es zehn bis 15 Prozent.

Das Homeoffice-Angebot bietet dafür natürlich keinen Ausgleich, noch seien es eher wenige, die es nutzen. Ein Zimmer gibt es für bis zu fünf Stunden ab 29 Euro, zehn Stunden für 39 Euro, fünf Tage kosten 149 Euro. Laut Michelis sei es üblich, dass der Arbeitgeber die Kosten für den Büroplatz im Hotel übernimmt.

Geschäftsleute gehören auch abseits der Corona-Krise zu den Stammkunden des Hotels erzählt der 53-Jährige. Daneben habe er gute Kontakte zur lokalen Sportvereinen — etwa zum KFC Uerdingen oder den Krefeld Pinguinen. Der gelernte Koch ist gebürtiger Luxemburger. Als Koch habe er schon auf einem Kreuzfahrtschiff oder als Küchenchef der Burg Wegberg für die Profis von Borussia Mönchengladbach Speisen zubereitet. Vor 13 Jahren habe er dann das Hotel mit Restaurant an der Uerdinger Straße übernommen.

Das Zimmer mit der Nummer 29, zu das mich Hotel-Betreiber Alain Michelis um mehrere Ecken und über Treppenstufen, die angenehm knarzen, geführt hatte, liegt abseits des Trubels der Hauptverkehrsstraße. Der Verkehr ist nur ein leichtes Rauschen. Nun ist auch kein Pfeifen mehr aus dem Nebenzimmer zu hören. Das vibrieren des Smartphones durchbricht die Stille. Die Arbeit ruft. Ach ja: Ein Interview muss noch bearbeitet werden. Der letzte Satz entsteht dann wieder zur Babysprechstunde am Abend — am Wohnzimmertisch.