In Frau Drechslers Märchenwelt

Von der Lehrerin zur Erzählerin: Diana Drechsler liebt Geschichten. Und erzählt sie in Kitas und Seniorenheimen.

Foto: Andreas Bischof

Ein weinrotes Gewand aus Leinen und Samt, darunter eine weite Pluderhose und orientalische Lederschuhe: Wenn Diana Drechsler zur Arbeit fährt, sieht sie aus wie eine Figur aus Tausend und einer Nacht. Das Beste an ihrem Beruf: „Ich bringe Freude, weil ich meinen Zuhörern etwas Schönes erzählen kann“, sagt sie selbst. Diana Drechsler ist noch keine 30 Jahre alt, als sie sich entscheidet, ihren Job als Lehrerin an einer Waldorfschule hinzuwerfen und stattdessen Märchenerzählerin zu werden.

20 Jahre ist das her und heute hängen die Kinder der Kita Neuhofsweg an Drechslers Lippen, wenn sie mit lustigen Stimmen die Ente, die Kuh oder das Schwein imitiert, die „Der dicke, fette Pfannkuchen“ auf seiner rollenden Flucht vor Frau Grau und ihren hungrigen Zöglingen trifft — und die doch alle nur eines wollen: den Pfannkuchen auffressen.

Märchen, erzählt Drechsler, haben in ihrem Leben schon immer eine wichtige Rolle gespielt. „Mein Vater hat gerne Geschichten frei erfunden, meine Oma klassische Märchen vorgelesen“, erinnert sie sich an ihre Kindheit. Die Prinzessin auf der Erbse, Frau Holle, Schneeweißchen und Rosenrot oder Schneewittchen, aber auch Geschichten fern der bekannten Klassiker — sicher 100 Märchen aus aller Herren Länder kann die 48-Jährige heute auswendig erzählen. „Die Geschichten müssen mich schon begeistern“, sagt sie und erklärt ihre Faszination fürs Erzählen: „Im Märchen ist alles klar: Am Ende siegt fast immer das Gute über das Böse.“ Sie selbst fühle sich in dieser Märchenwelt mehr als in den sich Tag für Tag überschlagenden Nachrichten dieser Welt zuhause, gesteht Drechsler. Krieg, Terror, Umweltkatastrophen: „Es ist einfach zu viel, was heute passiert — das kann ein Mensch allein gar nicht verarbeiten.“

Diana Drechslers Märchenwelt ist eine Kulisse aus Rot- und Orangetönen, warmen Klängen, die sie auf ihrer Harfe oder dem Xylophon zaubert, sie selbst die mystische Erzählerin. Eine, „die sich auskennt in der Märchenwelt“ und ihre Zuhörer dahin mitnimmt. Besonders jetzt in der Winterzeit. „Jetzt ist für mich Hochsaison“, sagt sie, „Märchenerzählen ist besinnlich und gemütlich, man kommt dabei zur Ruhe.“ Und Erwachsene liebten ihre Märchen genauso wie Kinder, denn: „Märchen erinnern an die Kindheit.“

Deshalb erzählt Drechsler auch regelmäßig in Seniorenheimen und vor Demenzkranken. „Spieglein, Spieglein an der Wand“ — „da kommen bei vielen Kindheitserinnerungen hoch, oder daran, wie sie ihren Enkelkindern Märchen erzählt haben. Die sind dann ganz happy.“ Und das mache auch sie glücklich, erzählt Diana Drechsler, während sie die orangefarbenen und gelben Tücher in der Turnhalle der Kita abhängt, um weiter zum nächsten Termin zu fahren. Nach Willich, Kempen oder Tönisvorst. Aber auch ins Ruhrgebiet. Manchmal sogar nach Bremen oder Hamburg. Märchen erzählen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute . . .