Jugendkriminalität: Jung, brutal und unbelehrbar
Immer mehr Minderjährige gelten als Intensiv- oder Mehrfachtäter. Vor Gericht müssen sie sich wegen ihres Alters oft noch nicht verantworten
Krefeld. Wie aus dem Nichts tritt er der 13-Jährigen ins Gesicht. Geradezu teilnahmslos war er durch die Straßenbahn geschlendert, um sich plötzlich zur Seite zu drehen und dann mit voller Wucht den Kopf des ahnungslosen Mädchens zu treffen. Dann verlässt der brutale Treter die Bahn. Er ist gerade mal zwölf.
Die Tat hat im Dezember viele Krefelder schockiert. Das Video aus der Überwachungskamera, die den Übergriff aufzeichnete, verschlägt so manchem Betrachter die Sprache ob der Kaltblütigkeit, mit der der Junge vorging. Immerhin ist er noch ein Kind — aber schon lange auf der schiefen Bahn.
Jung, brutal und unbelehrbar — das ist keine Seltenheit mehr. Neun Minderjährige aus Krefeld führt die Staatsanwaltschaft zurzeit als so genannte Intensivtäter. Die Liste ihrer Straftaten hat schwindelerregende Ausmaße erreicht: 50 Delikte sind keine Ausnahme — Taten, für die sich einige aufgrund ihrer Strafunmündigkeit nicht einmal vor einem Richter verantworten müssen.
Weitere 25 Kinder und Jugendliche aus Krefeld gelten noch als Mehrfachtäter. Sie haben zwar schon einige Straftaten auf dem Konto, doch sie lassen sich nach Ansicht der Justiz möglicherweise wieder auf die rechte Bahn bringen. Diese Hoffnung hat man bei den Intensivtätern aufgegeben.
Mit ihnen befassen sich Polizei, Jugendamt und Staatsanwaltschaft in einer Arbeitsgruppe, die sich vierteljährlich trifft. Eines ihrer Ziele: Die Strafe soll auf dem Fuße folgen. „Zwischen Akteneingang und Anklageerhebung liegen schätzungsweise ein bis zwei Wochen“, sagt Staatsanwältin Sonja Maas. Die meisten Fälle: Körperverletzungen und Raub, insbesondere aber Gewaltdelikte.
Dabei hat Maas festgestellt, dass die Brutalität in den vergangenen Jahren noch zugenommen hat: „Insbesondere dienen Nichtigkeiten als Anlass.“ Die Bezirksbeamten der Polizei und der Außendienst des Jugendamtes klingeln deshalb regelmäßig an den Türen besonderes auffälliger Jugendlicher und sprechen mit ihnen.
Für strafunmündige Täter gibt es im Jugendamt eine eigens dafür abgestellte Mitarbeiterin. „Eine solche ,Spezialstelle’ gibt es nach unserer Kenntnis in den meisten Städten nicht“, sagt Stadtsprecherin Sandra Adomat. Unter Unterbeschäftigung leidet die Mitarbeiterin keineswegs: Wie aus der Statistik der Jugendgerichtshilfe für 2010 hervorgeht, gab es 334 Kinder unter 14 Jahren, gegen die ein Verfahren eingeleitet wurde. 50 waren jünger als zehn Jahre. Zum Vergleich: Die Zahl der strafmündigen Täter im Alter von 14 bis 20 Jahren, für die die Jugendgerichtshilfe zuständig ist, umfasste in dem Jahr 1414 Personen.
Das Jugendamt wird bei Straftaten von Kindern und Jugendlichen durch die Polizei informiert. Meist werden dann Kind und Eltern zum Gespräch gebeten. Wenn dies erforderlich wird, bietet das Jugendamt Hilfe an — im Extremfall müssen Maßnahmen per Gerichtsbeschluss durchgesetzt werden. Etwa, wenn das Kindeswohl gefährdet ist.
Besonders auffällige junge Straftäter müssen an einem Training teilnehmen. Dort sollen sie lernen, ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen. Das Projekt „Echt stark“ wird gemeinsam von einer Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe mit einem Trainer durchgeführt. Es richtet sich an Elf- bis Dreizehnjährige. Da sie strafunmündig sind, muss die Staatsanwaltschaft bei Straftaten die Ermittlungsverfahren einstellen. Dann hat auch die Jugendgerichtshilfe keine Sanktionsmöglichkeiten mehr.