Kolumne Krefeld, viel besser als man glaubt
Krefeld · Guten Morgen, setzen Sie sich doch. Kaffee, ein Brötchen? Bedienen Sie sich gerne. Der Tisch ist für uns beide gedeckt. Hier möchte ich Sie ab heute alle vier Wochen treffen und mit Ihnen reden. Wir reden über Krefeld, das Leben in unserer Stadt und das, was uns im Leben bewegt.
Lange habe ich überlegt, was das Thema unseres ersten Treffens sein soll. Vielleicht, dass unsere Stadt ausgesprochen lebenswert ist.
Wie nötig diese Feststellung ist, habe ich diese Woche an der Bahnstation Rheinstraße wieder gemerkt. Es lag an den Werbetafeln. Nicht etwa, weil sich ein Wettportal und eine Partnerbörse im Internet abgewechselt haben. Das ist schlicht die städtebauliche Variante des Werbeblocks in der Halbzeitpause. Was mich gestört hat, ist eine Werbung für die Stadt Schwerin. Die möchte offenbar Arbeitskräfte aus Krefeld gewinnen. Ein Herr mit Fußballerfrisur lächelt auf dem Plakat, darunter die Aufschrift „Naturtalente gesucht!“. Wer also etwas kann, soll bloß raus aus Krefeld in die mehr als 400 Kilometer entfernte „Lebenshauptstadt“. So nennt sich Schwerin selbst. Wie bescheiden und wie charmant von den Lebenshauptstadt-Plakat-Erfindern. Sie vermuten offenbar, dass alle, die gleich in die 043 nach Uerdingen wollen, nur auf den einen Lebensrat warten: Steig nicht ein, geh nicht über Los, zieh keine 4000 Mark ein, komm direkt in die Lebenshauptstadt!
So verkehrt ist die Idee der Schweriner nicht. Viele Krefelder sind anfällig für Zweifel an der eigenen Stadt. Es gibt zwei große Gruppen. Die einen sind die Nörgler, die Krefeld auf den Status eines Entwicklungslandes diskutieren. Die anderen wollen unsere Kaffeekanne hier möglichst halbvoll sehen. Sie betonen, dass Krefeld im Sport und in der Kultur einiges zu bieten hat und es ja so viele tolle Ecken gibt. Ich verstehe beide Seiten.
Womöglich ist Krefeld einfach eine relativ durchschnittliche, mittelgroße Stadt. Solche Städte gibt es viele. Ein Bekannter zog nach Jahren in England von London nach Osnabrück. Wie es ihm dort nun geht? Nicht mehr oder minder schlecht als in jeder anderen deutschen Stadt auch, sagt er. So ist es. Jede Stadt hat ihre Vor- und Nachteile, auch Krefeld. Das ist gut so, wir müssen nicht mit Neid in die Ferne schauen, sondern können selbstbewusst zu Krefeld stehen. Im Ruhrgebiet sagen die Menschen: „Anderswo is auch scheiße.“ Das sollten wir übernehmen. „Krefeld – anderswo ist auch scheiße“, wäre der perfekte Slogan, viel lebensnäher als „Krefeld – Stadt wie Samt und Seide“ und fast so gut wie der leider vergebene Titel „Lebenshauptstadt“. All die anderen Städte, zu denen Sie aufschauen könnten, liefern nämlich Gründe, warum es daheim schön ist.
Sie glauben mir nicht? Blicken wir doch mal in die Nachbarschaft. Womöglich fahren Sie nach unserem Frühstück mit der K-Bahn nach Düsseldorf. Klar, Düsseldorf, da wollen alle hin. Da ist es cool und wer sich ganz doll anstrengt spürt den Hauch der Weltstadt zwischen Heerdt und Hubbelrath. Das ist natürlich völliger Quatsch. Wer an der Heinrich-Heine-Allee aus der Sardinenbüchse U76 ausgestiegen wird, spürt vor allem den fremden Nebenmann oder die fremde Nebenfrau, die sich auch durch das coole Düsseldorf schieben will. Es ist ja auch toll: H&M und Saturn an der Kö – wo gibt es solche Läden schon? Und da, wie kultig: Die Leute trinken zum Mittagssüppchen ein Alt. Düsseldorf, da wo Normalität noch ein bisschen besser sein soll. Lassen wir uns nicht blenden. Lieber schnell zurück nach Krefeld.
Und kommen Sie mir nicht mit Alternativen. Mönchengladbach? Hat eine Einkaufsstraße, die nicht weiß, ob sie lieber eine Rodelbahn wäre. Alle niederrheinischen Dörfer? Haben kaum mehr als „die nette, kleine Eisdiele am Markt“, die darüber hinwegtäuscht, dass es hier sonst unterhaltsam ist, wie der Themenabend Lipperland im dritten Programm. Das Ruhrgebiet? Lebt von stillgelegten Zechen und rostigen Stahlwerken, die unter dem Sammelbegriff „Industriekultur“ Sehnsuchtsorte sein sollen.
Womöglich trifft „Anderswo is auch scheiße“ aber nur auf das Rheinland oder NRW zu. Müssen wir so richtig weit weg aus Krefeld? Na, schauen Sie mal auf den Fahrplan. Wissen Sie, was die einzige Fernverkehrslinie am Hauptbahnhof ist? Ein Intercity, der von Aachen in die Bundeshauptstadt Berlin fährt. Bitte nicht mit der Lebenshauptstadt verwechseln. Das ist Schwerin, wo man sicher sekündlich auf Arbeitnehmer vom Rhein wartet. Genau wie Schwerin taugt der Printen-Express nach Berlin nicht als Verheißung. Berlin ist eine gigantische Ansammlung von Starbucks- und Dunkin-Donuts-Buden. Und das Viertel, das auf der Hinfahrt noch als toller Szenebezirk gefeiert wird, ist auf der Rückfahrt schon als gentrifizierte Ecke für Neureiche verschrien. In Berlin gibt es sogenannte Stadtteilbahnhöfe, die so groß sind, dass Touristen schon den halben Urlaub dort verbracht haben – das verrückte Labyrinth für Erwachsene. Da ist es ganz schön, wenn sich unsere vier Straßenbahnen gefühlte fünf Minuten vom Kino vor das Hansa-Centrum quälen.
Also nehmen Sie es nicht so schwer, Krefelder zu sein. So schlimm haben wir es hier nicht – oder zumindest nicht schlimmer als anderswo.