Erinnerung in Krefeld an die Opfer des Nationalsozialismus „Gedenken ist eine Haltung"
Krefeld · Bei einer Veranstaltung in der Gesamtschule am Botanischen Garten unterstreichen die Redner die Bedeutung der Erinnerung an die NS-Verbrechen, auch 78 Jahre danach.
Der Bundestag hat am Freitagvormittag in einer Sitzung den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Und auch in Krefeld kamen Vertreter aus Gesellschaft und Politik in der Gesamtschule am Botanischen Garten für eine Gedenkveranstaltung zusammen. Auf den Tag genau vor 78 Jahren, als die russische Armee das Gefangenenlager in Auschwitz eingenommen hatte und in der Folge auflöste, in dem über eine Million Menschen ermordet worden waren. Wie lange solle man noch an die Verbrechen des NS-Regimes institutionell erinnern, diese Rituale pflegen? Diese Frage lag über der Veranstaltung. Müsse nicht allmählich Schluss sein mit der Rückschau in eine längst vergangene Zeit? Diese Stimmungen aus Teilen der Bevölkerung hatten die Redner ausgemacht und vorgetragen – dann aber entschieden die aus ihrer Sicht notwendige Erinnerungskultur in Deutschland unterstrichen. Die Reden waren eingebettet in mehrere Darbietungen der Schülerschaft der Oppumer Gesamtschule. Gedichte, Musikeinlagen sowie kurze Aufführungen lockerten das 90-minütige Programm auf, dem noch ein Besuch der Gedenk-Ausstellung im Schulgebäude folgte.
Oberbürgermeister Frank Meyer zeichnete in seinem Vortrag die langen Linien der jüdischen Kultur in der Stadtgeschichte nach, auch für die Industrie. „Sie haben den Aufschwung mitgeprägt“, sagte der Sozialdemokrat in der Aula der Gesamtschule. Die Spuren des Judentums in Krefeld ließen sich 700 Jahre zurückverfolgen. Ende des 19. Jahrhunderts habe es noch bis zu 2000 Bürger jüdischen Glaubens in der Stadt gegeben, während der Pogrome seien es nur noch etwa 200 gewesen, nach Kriegsende 1945 eine kleine Gruppe von nur noch zehn Personen, die dann aber wieder eine neue Gemeinschaft aufgebaut hätten. „Wie mutig diese Leute waren“, stellte Meyer heraus: „Das Gift des Antisemitismus war ja immer noch da.“ Der Oberbürgermeister appellierte an die Gäste und Zuhörer, dem Hass keine Chance zu geben. „Toleranz will immer neu erarbeitet werden.“ Ob im Schulbus, im Freundeskreis oder auch im Internet.
Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Samuel Naydych, betonte ebenfalls die Unverzichtbarkeit, an die damaligen Verbrechen zu erinnern. „Ich lebe von den Geschichten derer, die damals gelebt und alles verloren haben.“ Dennoch stellte er auch eine Verbindung zur Gegenwart her. Deutschland sei heute ein demokratisches Land, das diese Werte auch in der Welt vertrete. „Es ist meine Heimat“, sagte er, ehe er aber auch aus seiner Vergangenheit berichtete. Im Sommer sei er oft zu Besuch bei seinen Großeltern in der Ukraine gewesen, in einem Dorf namens Butscha, das im vergangenen Frühjahr durch Massaker der russischen Armee an der Zivilbevölkerung in die Schlagzeilen kam. Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sprach er: „Wer eine Verhandlungslösung will, hat aus der Geschichte nichts gelernt. Auschwitz ist befreit worden.“ Die NS-Zeit nicht mehr zu thematisieren, sei der falsche Weg: „Worüber man nicht mehr spricht, könnte bald vergessen sein.“
Aufklärung schon im
Kindesalter gefordert
Er setze auf Aufklärung schon im Kindesalter, damit die Kleinen schon wüssten, wie und welche Informationen man richtig nutzt. Im Zeitalter der Informationsflut und auch Desinformation auf allen möglichen Kanälen sei dies ein notwendiger Schritt. „Es geht nicht um Schuldgefühle, sondern um Vorbeugung, damit nie wieder ein Volk diese Schuld auf sich nimmt.“ Sandra Franz, Leiterin der Krefelder NS-Dokumentationsstelle, appellierte eindringlich: „Wir als Menschen sind dafür verantwortlich, dass diese Verbrechen nie wieder geschehen.“ Ein Ende der institutionalisierten Erinnerungskultur sieht sie noch lange nicht gekommen: „Es ist noch nicht genug erinnert worden. Es kann jetzt nicht mal endlich Schluss sein. Es ist viel zu lange geschwiegen worden.“ Viel zu viele Menschen hätten in der NS-Diktatur nur zugeschaut und seien nicht aufgestanden. Schulleiterin Birgit Oelmüllers-Hoff brachte es auf den Punkt: „Gedenken ist eine Haltung.“