Wildtierhilfe Geplante Arzneimittelverordnung mit fatalen Folgen

Krefeld · Krefelder Igelstation schlägt Alarm, weil lebensrettende Medikamente künftig kaum noch zu kriegen sind und die Zahl der verletzten stacheligen Tiere immer mehr steigt

Foto: Ja/Jochmann, Dirk (dj)

Wildtierhilfe für Igel, Fledermäuse, alle Vögel und Amphibien ist in NRW weitestgehend Privatsache. Es sind teils Naturschutzverbände, zum größten Teil aber ehrenamtlich arbeitende Einzelpersonen oder Vereine, die verletzte und verwaiste Tiere aufnehmen, behandeln und im besten Falle geheilt wieder zurück in die Natur entlassen. Dabei regelt das Bundesnaturschutzgesetz eindeutig den Umgang mit wild lebenden Tieren und den Schutz ihrer Lebensstätten. Laut Paragraph 45 Absatz 5 des Gesetzes sind verletzte oder verwaiste Tiere an die Stelle abzugeben, die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmt wurde. In Krefeld gibt es bislang jedoch nur private Stellen.

Während es in Niedersachsen inzwischen eine organisierte und finanziell vom Land unterstützte Hilfe für anerkannte Wildtier- und Artenschutzstationen gibt, ist das Bundesland NRW trotz der Versprechen von Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen weiterhin ein weißer Fleck. „Die ehrenamtliche Arbeit ist längst zur Hauptaufgabe geworden“, sagt Brigitte Thevessen von der Igel-Auffangstation „Casa dei Riccio“. Die ebenso wie die Igelnothilfe Krefeld e.V. wegen der immer größer werdenden Anzahl verletzter Tiere an ihre finanziellen und physischen Grenzen stößt. Doch damit nicht genug: Nun droht auch noch neues Ungemach durch die Verschärfung der Europäischen Tierarzneimittelverordnung.

Der Verein Casa dei Riccio hat in seinem Ladenlokal an der Kreuzstraße 9 in Hüls inzwischen selbst im Eingangsbereich, wo bislang eine Sitzecke für Besucher und die ehrenamtlichen Helfer sowie eine kleine Theke standen, neue Gehege für die Igelbabys aufgestellt. „Wir haben derzeit so viele Igelbabys und verletzte Igel wie noch nie“, erzählt Thevessen, die sich mit weiteren Vereinsmitgliedern selbst in der Nacht alle zwei bis drei Stunden um die Tiere kümmert. 70 Tiere sind es derzeit. Viele davon sind durch Schnittwunden von Mährobotern und Freischneidern schwer verletzt.

Bislang konnte Thevessen, die jeden Igel und seine genaue Behandlung dokumentiert, notwendige Medikamente, auch Antibiotika, zur Wundbehandlung und gegen Schmerzen verabreichen. Die Medikamente und genaue Dosierung habe sie bislang von zwei Tierärzten bekommen, die wiederum umgehend als Beleg für die richtige Behandlung in Tabellenform die Angaben erhalten haben.

Mit der erhöhten Gebührenordnung der Tierärzte im vergangenen Jahr sind die Kosten für die Behandlung stark gestiegen. Außerdem müssen die Verbrauchsmengen von antimikrobiell wirksamen Arzneien ab 2023 nach EU-Vorgabe in drei Phasen bis 2029 erfasst werden. Ziel ist es, Resistenzen gegen Antibiotika wegen „unkontrollierter Abgabe“ zu verhindern. Galt das bislang für Rinder, Schweine, Hühner und Puten, werden ab 2026 auch die Verbrauchsmengen für etwa Enten, Gänse, Schafe, Ziegen, Fische oder Pferde erfasst.

Neue Arzneiverordnung „vergisst“ Igel, Fledermaus & Co.

„Die Behandlung von Wildtieren ist dabei nicht bedacht“, sagt Thevessen, die die fatalen Folgen schon zu spüren bekommt. „Wir erhalten in Praxen oder Tierkliniken jetzt nur noch für jedes einzelne Tier entsprechende Spritzen statt der Ampullen zum Selbstdosieren nach Anleitung; und auch das wird weiter eingeschränkt“, sagt Thevessen verzweifelt. Sie dürfe den Tieren jetzt nur noch Medikamente in Tablettenform geben. „Doch wenn Igel krank sind, verweigern sie die Nahrung.“ Noch vor wenigen Tagen hatte sie sechs Igel dort, die zuvor in der Klinik wieder „zusammengenäht“ worden sind und ohne injizierte Schmerzmittel „vor Schmerzen gestorben wären“.

„Wir müssen einen Lösungsansatz finden, wie die Arzneimittelverordnung neu geordnet werden kann, damit Ehrenamtliche weiter in der Wildtierhilfe arbeiten können“, sagt Thevessen. Jedes verletzte Tier „einfach sterben zu lassen“, bedeute letztendlich das Aussterben des Igels, der in diesem Jahr von der Deutschen Wildtierstiftung zum Tier des Jahres gewählt worden ist.

Der Befürchtung von einigen Veterinärmedizinern, dass „Laien durch unsachgemäße Anwendung von Medikamenten nur Tiere retten wollen, die nicht zu retten sind“, widerspricht sie vehement. „Igel werden bei uns medizinisch versorgt, zusammengeflickt, kriegen Antibiotika, Wunden werden versorgt und nach ein paar Wochen sind sie wieder gesund. Wir haben amputierte Tiere, die damit gut rumlaufen und leben können und ausgewildert werden. Zu kranke Tiere werden euthanisiert, um ihnen Leid und Schmerzen zu ersparen, auch wenn das pro Tier inzwischen 180 Euro kostet.“ All das werde dokumentiert.

Die Tierärztekammer Nordrhein freut sich über alle Aktivitäten, „die dazu beitragen, unseren Wildtieren ein Über- und Weiterleben zu ermöglichen“, betont ein Pressesprecher auf Nachfrage unserer Redaktion. Begrüßt werde aber auch die neue EU-Verordnung, um einer Entstehung von Antibiotikaresistenzen durch einen ungeregelten Einsatz von Antibiotika vorzubeugen.