Geschichte Schüler kämpfen für das Erinnern
Krefeld · Im Grünen Salon diskutierten Schüler und Institutsleiter über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in Westdeutschland und der DDR.
Auch im Jahr 75 nach dem Nationalsozialismus sollen die Erinnerungen nicht ruhen. Die Ausgrenzungen, die Menschenjagd, die Vernichtung des Lebens. In den Ohren von Sophie Stöbe könnte all das, was zwischen 1933 und 1945 geschehen ist, ganz weit weg klingen. Tut es aber nicht.
„Wir haben alle ein Verantwortungsbewusstsein“, sagt die 16-jährige Schülerin des Gymnasiums Fabritianum und fügt mit Nachdruck an: „Es kommt nicht auf das Alter an. Es gibt nicht per se diese Gleichgültigkeit bei Jugendlichen.“
Sophie Stöbe sitzt auf der Bühne im „Grünen Salon“ im Südbahnhof. Die Geschichte hat es ihr angetan. Ihre Mutter unterrichtet dieses Fach. In der Schule belegt Stöbe den Leistungskurs, zeigte dort solch ein großes Interesse, dass ihre Lehrerin sie an das Krefelder NS-Dokumentationszentrum weiterempfohlen hat. Seit zwei Jahren arbeitet sie dort als Praktikantin in der Villa Merländer. Sie erforscht Biografien von Opfern, gestaltet Projekte, Workshops und Gedenkveranstaltungen mit: „Ich möchte das Gedenken aufrecht erhalten.“
Die 16-Jährige war im Rahmen des Themas „Erinnerungskultur in Ost und West bei Alt und Jung“ in den „Grünen Salon“ eingeladen worden – dieser von der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützten Diskussionsplattform. Wie auch Sandra Franz, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle und Guido Strohfeldt vom Museum Fürstenwalde im Partner-Landkreis Oder-Spree. Franz sammelt Dinge aus der Epoche, die die NS-Zeit ausmachten. Sie will diese für die Nachwelt konservieren, ihre Relevanz für die Gegenwart zeigen. Alle Opfergruppen sollen einbezogen werden.
Das Erinnern in Deutschland in Ost und West in den Nachkriegsjahren war sehr unterschiedlich geprägt. „In den 1950er Jahren ist der Name Auschwitz vielen Deutschen noch kein Begriff“, sagt Sandra Franz: „Erst mit den Auschwitz-Prozessen gelangt er ins Bewusstsein.“ Die Fernsehserie Holocaust habe die Verbrechen dann in die Wohnzimmer gebracht. Studentenbewegung, Wiedervereinigung und das Heute seien aus Sicht von Sandra Franz Umbruchphase in der Erinnerungskultur. Zeitzeugen würden sich nun nach und nach aus der Welt verabschieden.
Guido Strohfeldt hat da in der DDR einen ganz anderen Umgang erlebt: „Es gab bei uns im Osten keine freie Auseinandersetzung mit der Geschichte. Der Fokus lag auf dem Erinnern an den antifaschistischen Widerstand. Das war damals wichtig. Eine 68er-Bewegung gab es im Osten ohnehin nicht.“ Heute sehe er in seiner Heimat aber viele Jugendliche, die sich auf freiwilliger Basis engagierten für das Wachhalten des Gedenkens an die NS-Zeit. „Das Potenzial ist da.“ Man müsse aber wissen, wie man die jungen Leute mitnehmen könne bei diesem Thema. „Wir versuchen Jugendliche über den biografischen Ansatz zu gewinnen, die Opfer damit in die Lebenswirklichkeit holen“, sagt Sandra Franz.
Das funktioniere gut, überhaupt stelle die Leiterin der Dokumentationsstelle ein höheres Bewusstsein für politische Themen in der jungen Generation fest, nicht nur bei Umweltthemen. Als bestes Beispiel dafür durften dann auch noch die Moltke-Schüler Frederik Klaas, Emma Hofer und Annemarie Rixen auf der Bühne über ihre Motivation sprechen, auch an ihrer Schule für das Erinnern an die Opfer einzutreten. Sie haben sich in ihrem Projekt mit den Stolpersteinen beschäftigt, denn manche NS-Opfer des Moltke-Gymnasiums seien bisher nicht angemessen auf Gedenktafeln bedacht worden. „Es ist wichtig, nicht nur Zahlen zu sehen. Was waren das für Familien?“, fragt Hofer. „Wir wollen die Namen nicht in Vergessenheit geraten lassen“, sagt Klaas.