Historisches Krefelder Appell – ein Aufruf, dem die Welt nicht folgen wollte

Krefeld · Vor 40 Jahren versucht die westdeutsche Friedensbewegung, die atomare Aufrüstung in Europa zu stoppen. Der Krefelder Appell war ein Teil davon.

Historisches Treffen im Seidenweberhaus: Debatte über den Krefelder Appell, 16. November 1980.

Foto: imago/Klaus Rose/Klaus Rose

Der Krefelder Appell war ein Aufruf der westdeutschen Friedensbewegung an die damalige Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa (Nato-Doppelbeschluss) zurückzuziehen und innerhalb der Nato auf eine Beendigung des atomaren Wettrüstens zu drängen.

Er wurde am 16. November 1980 in Krefeld öffentlich vorgestellt. Der Appell war das Ergebnis des zweitägigen „Krefelder Forums“, das am 15. und 16. November im Seidenweberhaus stattfand. An dem Treffen nahmen etwa 1500 Vertreter von außerparlamentarischen Initiativen  sowie der Jungsozialisten und Jungdemokraten teil, die dann den Text des Appells gemeinsam beschlossen.

Der Text wurde bis 1983 von über vier Millionen Bundesbürgern unterzeichnet, stieß jedoch schon bald nach seinem Erscheinen auf Ablehnung der im Bundestag vertretenen Parteien sowie des DGB. Die atomare Aufrüstung wurde wie geplant durchgeführt.

Die Situation damals und heute

Wie soll man der Öffentlichkeit verdeutlichen, wie groß das derzeitige Risiko einer globalen Katastrophe, insbesondere aufgrund eines Atomkrieges oder einer Klimakatastrophe, ist? Schon bald nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki 1945 hatten Wissenschaftler, die an der Entwicklung von Atomwaffen in den USA geforscht hatten, eine Idee: die „Doomsday Clock“. Die Weltuntergangsuhr, auf Deutsch oft verkürzend auch Atomkriegsuhr genannt (englisch doomsday clock, eigentlich „Uhr des Jüngsten Gerichts“), ist eine symbolische Uhr. Sie spielt auf die Metapher an, es sei fünf Minuten vor zwölf, wenn ein äußerst nachteiliges Ereignis unmittelbar droht.

1980, als der Krefelder Appell verabschiedet wurde, stand die Uhr auf sieben Minuten vor zwölf. 1991, nach dem vermeintlichen Ende des „Kalten Krieges“, sah es besser aus – 17 Minuten vor zwölf. Seitdem ging es fast nur noch abwärts, jetzt sind wir bei 100 Sekunden vor zwölf, dem gefährlichsten Stand, den es je gab. Laut dem Sipri-Jahresbericht 2020 existieren weltweit noch 13 400 Atomsprengköpfe, alle neun Atomwaffenstaaten modernisieren ihre Arsenale. Sollte die US-Regierung das New-Start-Abkommen auslaufen lassen, wird es ab dem 5. Februar 2021 erstmalig seit 1972 keine vertraglichen Beschränkungen mehr für russische und amerikanische Atomwaffen geben.

Der Atomwaffenverbotsvertrag

Der Atomwaffenverbotsvertrag ist eine internationale Vereinbarung, die Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und Einsatz von Kernwaffen verbietet, außerdem die Drohung damit. Der ausgearbeitete Vertrag wurde am 7. Juli 2017 mit 122 Stimmen bei der UN angenommen. Bis zum 24. Oktober 2020 hatten 84 Staaten unterzeichnet, 50 Staaten den Vertrag ratifiziert. Am 22. Januar 2021, 90 Tage nach der 50. Ratifizierung, wird der Vertrag in Kraft treten und in internationales Recht übergehen. Das Friedensnetzwerk Ican (International Campaign to Abolish Nuclear weapons), auf dessen Initiative der Vertrag zustande kam, wurde dafür 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Bindend ist der Vertrag für die Staaten, die ihn unterzeichnet haben, das hat bisher keine der Atommächte getan. Aber der Vertrag setzt eine neue Norm: die Ächtung von Atomwaffen auf Grund ihrer verheerenden, humanitären Konsequenzen und wird dadurch das Verhalten von Staaten verändern. Verstärkt wird dieser Druck zunehmend.

Die Bundesregierung ist nicht bereit, dem UN-Vertrag beizutreten, sondern hält an der „Nuklearen Teilhabe“ fest. Ein Beitritt würde zwar nicht den Austritt aus der Nato erforderlich machen, aber die rund 20 amerikanischen Atomwaffen, die in Büchel in der Eifel lagern und im Ernstfall von deutschen Flugzeugen abgeworfen würden, müssten aus Deutschland abgezogen werden.

Krefeld heute

Krefeld hat sich 1980 nicht gegen Atomwaffen positioniert. Inzwischen ist das anders. 2010 ist Krefeld den „Mayors for Peace“, den „Bürgermeistern für den Frieden“, beigetreten. Diese Organisation wurde 1982 durch den Bürgermeister von Hiroshima gegründet. Dem Netzwerk gehören heute mehr als  7800 Städte und Gemeinden aus 163 Ländern an. In Deutschland sind über 600 Mitglieder dem Bündnis beigetreten.

Der vom Krefelder Friedensbündnis initiierte Bürgerantrag „Für das Leben – gegen Atomwaffen! Krefeld für den Atomwaffenverbotsvertrag“ wurde am 4. Juli 2019 vom Rat der Stadt beschlossen. Darin appelliert der Stadtrat an die Bundesregierung, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Entsprechend hat sich Oberbürgermeister Frank Meyer an die Bundesregierung gewandt.

Vierzig Jahre sind seit dem Krefelder Appell vergangen. Statt dem Appell zu folgen wurden immer mehr (Atom-)Waffen angeschafft. Ist die Welt dadurch sicherer geworden? Nein, im Gegenteil, sie war noch nie so unsicher wie heute. Immense Summen wurden und werden dafür ausgegeben. Geld, das zum Beispiel für die Bekämpfung von Corona und dem Klimawandel benötigt wird.