Arbeitsmarkt Mit 56 Jahren macht Regina Brehme eine Ausbildung
Krefeld · Sie gehört zu 150 Menschen, die von der Krefelder Arbeitsagentur 2019 qualifiziert werden und wurden. Nichtqualifizierte bleiben die Sorgenkinder der Berater.
Regina Brehme plaudert fröhlich mit Rosemarie Neiber (80). Die Pflegekraft schiebt den Rollstuhl der 80-Jährigen durch den Flur des Kunigundenheims. „Sie sind eine ganz Tolle“, macht die Bewohnerin der Mitarbeiterin ein Kompliment. Das hat sich zuletzt nicht nur menschlich gezeigt. Als Beste ihrer Klasse hat Regina Brehme ihr sogenanntes „Helferjahr“ im März dieses Jahres beendet. Und zwar sogar mit der Note eins, weshalb sie nun ihre Ausbildung zur Pflegefachkraft auf zwei Jahre verkürzen kann. Eine Ausbildung, die sie mit 56 Jahren angetreten hat.
„Es ist eine tolle Chance, die mir hier geboten wird“, sagt die Krefelderin, die schon seit zehn Jahren in dem Seniorenheim an der Heinrich-Theißen-Straße in Uerdingen arbeitet. Aber bisher eben nicht als Fachkraft. Eine Ausbildung zu starten, das sei für sie bisher aus verschiedenen Gründen schwierig gewesen, erzählt sie. Einer war, dass sie vor der zehnten Klasse von der Schule abging. Der andere, dass sie sich um ihre Familie habe kümmern müssen. „Da muss man halt Entscheidungen treffen, und die ging immer gegen eine Ausbildung aus.“
Der Grund dafür, dass das nun anders wird, ist das Qualifizierungschancengesetz. Bis zu 100 Prozent der Kosten für Qualifizierungsmaßnahmen können dadurch von der Agentur für Arbeit übernommen werden. In diesem Jahr haben bisher 150 Männer und Frauen aus Krefeld und dem Kreis Viersen diese Möglichkeit nutzen können. Einerseits kämen Unternehmen mit Mitarbeitern zu den Beratern, andererseits würden Arbeitslose und Unternehmen zusammengebracht, „wenn eine Stelle frei ist, zu der jemand passen könnte, aber ihm noch etwas dafür fehlt, das durch eine solche Qualifizierung ausgeglichen werden kann“, erläutert die Krefelder Agentur-Chefin Bettina Rademacher-Bensing. Sie sieht das Qualifizierungschancengesetz als etwas, „das über alles hinausgeht, was es bisher gab“. Bisher habe es „nur Programme gegeben, kein Gesetz, nun kann man durch das Gesetz etwas kontinuierlich anbieten“, sagt sie.
6,1 Prozent mehr Arbeitslose
in Krefeld in Hartz IV
Und die fehlende Qualifizierung gehört für Rademacher-Bensing zu den zentralen Faktoren, die die Arbeitslosenzahlen in Krefeld negativ beeinflussen. „Es ist der Grund, warum viele Menschen nicht in den Arbeitsmarkt finden beziehungsweise zurückfinden“, urteilt die Agentur-Chefin. Im September bezogen insgesamt 9345 Arbeitslose in Krefeld Zuwendungen nach SGB II – also Hartz IV. Das sind zwar 2,1 Prozent weniger als im August, aber 6,1 Prozent mehr als im gleichen Monat des Vorjahres.
Dass sich die Arbeitslosenzahlen in Krefeld innerhalb eines Jahres nicht wesentlich verbessert hätten (siehe Kasten), sieht die Agentur-Chefin außerdem auch in zwei zunächst nicht negativ anmutenden Faktoren in der Stadt. Es gebe hier preiswerten Wohnraum und eine gute Infrastruktur beim öffentlichen Nahverkehr. „Anders als auf dem Land, wo einmal am Tag ein Bus fährt“, sagt sie mit Blick auf den Kreis Viersen, der auch zu ihrem Agentur-Bezirk gehört. Jemand, der „mit seiner Hände Arbeit nicht ausreichend versorgt ist“, wie es Rademacher-Bensing formuliert, käme also eher nach Krefeld. Wo nun Qualifizierung nötig sei, müssten individuelle Pakete für die Menschen und die Unternehmen geschnürt werden.
Kursgebühren oder Reisekosten gehören zur Unterstützung
Tim Weiergräber betreut bei der Agentur für Arbeit beide Seiten. Neben Pflegekraft Regina Brehme und weiteren elf von 23 Azubis im Kunigundenheim gehören dazu viele verschiedene Berufsgruppen. „Es gibt Beispiele wie die Steuerberaterin, die eine Frau, die 2014 aus Russland kam, zur Steuerfachangestellten ausbilden möchte und wo erst einmal ein berufsbezogener Deutschkurs nötig ist“, berichtet Weiergräber, „wie übrigens in vielen anderen Branchen wie Gartenlandschaftsbau oder bei Dachdeckern.“
Beim Mitarbeiter einer Prüfstelle für Kfz-Hauptuntersuchungen war für eine Weiterbildung ein weiter Weg nötig. Die Agentur zahlte Reise- und Unterkunftskosten. Sogar Betreuungskosten für die Kinder können zur finanziellen Unterstützung gehören.
„Ich glaube, dass die Qualifizierungsmaßnahmen noch zunehmen werden, wenn die Digitalisierung an Fahrt aufnimmt“, wagt die Krefelder Agentur-Chefin einen Ausblick, „wenn zum Beispiel ein Lagerist, der das seit 15 Jahren gemacht hat, indem er durch sein Lager gelaufen ist, sein Lager nur noch in einem digitalen System führen wird.“