Ganz weit oben Wie ein Krefelder die höchste Achterbahn der Welt baut
Krefelder Daniel Schoppen entwirft die längste, höchste und schnellste Achterbahn der Welt. Dabei steht ihm noch nicht einmal seine Höhenangst im Weg - wie er das schafft und wie es zum Projekt gekommen ist.
Voraussichtlich schon in diesem Jahr werden sich Menschen in der Nähe der saudi-arabischen Hauptstadt Riad in eine Achterbahn setzen. Einige dürften schon wissen, auf was sie sich da einlassen. Sie werden eine lange Strecke fahren, mehr als vier Kilometer, sie werden hoch hinaus kommen, 160 Meter, und am Ende werden sie so zügig unterwegs sein wie in einem ICE, 250 Kilometer pro Stunde. Die Achterbahn „Falcon’s Flight“ im Freizeitpark Six Flags Qiddiya wird die längste, höchste und schnellste der Welt sein. Der Mann, der die Strecke mit seinem Team entworfen hat, ist in Krefeld aufgewachsen. Auf die Frage, ob die saudi-arabischen Investoren genau diese Forderungen gestellt haben – Bauen Sie uns die höchste, längste und schnellste Achterbahn der Welt! – sagt Daniel Schoppen: Ja, genau so war es.
Ich treffe Schoppen, 45, nicht persönlich, sondern im Videochat. Ab und zu besucht er zwar seine Eltern in Krefeld, aber das Unternehmen, für das er arbeitet, hat seinen Sitz in Liechtenstein: der Achterbahn-Bauer Intamin. Er sitzt in seinem Büro, hinter ihm an der Wand hängen die Zeichnungen von drei Achterbahnen. Er könne die Schweiz von hier aus sehen, sagt er, und hält dann gleich ein Kurzreferat über Liechtenstein. Schoppen gehört nicht zu den Menschen, die zu knappen Antworten neigen. Er erklärt gern, gestikuliert dabei raumgreifend. Gelegentlich trägt ihn die Begeisterung davon.
Wie kommt ein Niederrheiner dazu, für die ganze Welt eine verrückte Achterbahn nach der nächsten zu entwerfen? Zum Beispiel auch jene, die bloß eine Stunde Autofahrt von Krefeld entfernt im Phantasialand liegt: Taron ist eine Bahn, auf die man nicht vorbereitet ist, wenn man zuletzt vor 20 Jahren in einem Achterbahnwagen saß. Er wird nicht auf einen Hügel gezogen, um dann allein durch die Schwerkraft über Berg und Tal ins Ziel zu rollen, sondern einmal zu Beginn und einmal mittendrin beschleunigt auf bis zu 117 Kilometer pro Stunde.
Es ließe sich mit gutem Recht behaupten, dass Daniel Schoppen einfach fortsetzt, was er in der Kindheit begonnen hat. Mit dem Unterschied, dass die Achterbahnen, die er damals aus Lego zusammenbaute, Modelle blieben, während seine Pläne nun Realität werden. „Letztlich haben es die Eltern verschuldet“, sagt er halb im Scherz. „Sie haben mich mit in einen Freizeitpark genommen.“ Da ging er noch nicht mal zur Schule. Im Traumland-Park, dem Vorgänger des heutigen Movie Park in Bottrop-Kirchhellen, ging es eher beschaulich zu. Da gab es Dinosaurier, Dioramen, Boote. Dann fuhren die Eltern mit ihm ins Phantasialand und merkten schnell: Das ist was für den Jungen. Alle paar Jahre konnte er sie überreden, wieder mit ihm nach Brühl zu fahren. Sein Interesse galt noch nicht den Achterbahnen im Speziellen, sondern den Parks im Allgemeinen, Themenwelten, in denen er verschwinden konnte.
Achterbahnen waren für ihn noch Mutprobe. Das Interesse an ihnen stieg erst, als das Internet in seinem Leben auftauchte. Eine Tageszeitung bot für 30 Deutsche Mark (DM) im Monat eine Flatrate an, lange vor der Erfindung des schnellen Internets. Schoppen besuchte die Oberstufe der Bischöflichen Maria-Montessori-Gesamtschule und teilte sich die Kosten mit zwei Freunden. Das Internet ließ die Welt plötzlich groß für ihn werden. Nun gab es nicht mehr nur Parks in NRW, nicht nur Efteling in den Niederlanden und irgendwo in Süddeutschland den Europapark. Es gab sie überall. Und mit ihnen Achterbahnen. Da war dieser Mann, der weltweit Fotos von Achterbahnen machte und sie auf seine Webseite stellte. Da war dieses Internetforum, in dem die Leute über die Technik von Achterbahnen schrieben. „Ich habe das Internet komplett danach durchstöbert, was es zu Achterbahnen gab“, sagt er. Und blockierte bei jeder Recherche die Telefonleitung der Eltern.
Schoppen entwickelte einen Gedanken: Kann ich daraus nicht einen Beruf machen? Als ihn ein Kumpel, der gerade den Führerschein gemacht hatte, mal wieder ins Phantasialand fuhr, hatte dort gerade das Space Center eröffnet, eine Indoor-Achterbahn. Er fand dort ein Hinweisschild des Herstellers, Vekoma Rides aus Vlodrop, gleich hinter der Grenze zu den Niederlanden. Doch er war zu schüchtern, um das Unternehmen anzuschreiben.
Im Abiturjahr nahm er seinen Mut zusammen und schrieb ans Phantasialand: Ob sie ihm erklären könnten, welche Berufe es in der Branche gebe. Bald klingelte das Familientelefon, dran war Robert Löffelhardt, damals einer der beiden Chefs des Parks. Er sorgte dafür, dass der junge Mann sich das Werk jenes großen Achterbahnherstellers anschauen durfte, das er sich nicht getraut hatte zu kontaktieren. Schoppen erinnert sich genau an seinen Besuch bei Vekoma im Winter 1997, weil damals alles Fahrt aufnahm. „Da waren 200 Leute, die haben nur Stahl gebogen und geschweißt. Man konnte es sehen, riechen und hören. Da hat mich die Faszination gepackt. Aus einem Stück Stahl etwas zu formen, über das danach mit Geschwindigkeit ein Achterbahnwagen fuhr, fand ich spannend.“ Er beschloss ein Studium zu wählen, das ihn zum Achterbahnbau befähigte, aber notfalls auch Alternativen bot. Die meisten Achterbahnbauer sind Maschinenbauer, also studierte er das Fach – wie könnte es anders sein – in Aachen.
Übers Internet fand er Gleichgesinnte. Sie unternahmen Reisen nach England, Spanien, Florida. Er wollte nicht nur wissen, wie man Achterbahnen baute, er wollte auch wissen, wie es war, sie zu fahren. „Anderthalb Minuten nicht auf dem Stuhl zu sitzen und normal die Gravitation zu spüren, sondern wild, aber kontrolliert durch die Gegend geschleudert zu werden“ – das packte ihn. Er stellte selbst eine Webseite online, die sich mit Achterbahnen beschäftigte, fotografierte Achterbahnen, baute Achterbahnen und Freizeitparks in Computerspielen und interviewte den Achterbahnguru Werner Stengel, jenen Mann, der den Looping revolutioniert hatte. Zuvor waren Loopings kreisrund gewesen. Erst Stengel sorgte durch einen größeren Radius im unteren Teil für eine erträgliche Ein- und Ausfahrt, sodass die Leute nicht zu arg durchgeschüttelt wurden. Seine Diplomarbeit schrieb Schoppen bei Vekoma über die Bremsen von Achterbahnen. Einstellen wollten sie ihn danach allerdings nicht.
Er hätte die sichere Variante wählen und ihn die Autoindustrie gehen können. Aber er hatte die Sorge, dort bloß für so was wie den linken Außenspiegel verantwortlich zu sein. Stattdessen entschied er sich fürs Risiko, für das, was ihn schon als Kind begeistert hatte. Auf einer großen Messe für Freizeitparks in Orlando redete er mit dem Chef von Intamin, wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen, eingestellt und verließ Deutschland, um als Projektleiter anzufangen. Das ist nun fast 20 Jahre her. Mittlerweile ist er mit seinem Team für die Gestaltung aller Achterbahnstrecken seines Arbeitgebers verantwortlich. 40 bis 50 davon wurden Realität.
Aber wie funktioniert das eigentlich, eine gute Achterbahn zu bauen? Man sollte dazu wissen: Schoppen findet nichts öder, als Achterbahnen von der Stange zu bauen. Andere Anbieter sind dafür bekannt, Kopien ihrer eigenen Anlagen in der ganzen Welt aufzubauen. Intanim hingegen nicht, sagt Schoppen. Sondern für höher, schneller, weiter. Freizeitparks, die sich in Liechtenstein melden, wollen etwas Besonderes, etwas, das die Konkurrenz nicht hat. Das Budget steht fest, auch das Gelände, auf dem die Bahn errichtet werden soll, vielleicht auf der Ebene, vielleicht an einem Hang, vielleicht über einen See. Einige Kunden sagen dann: Macht mal. Andere haben schon eine Idee. Ein bisschen ist eine Achterbahn zu entwerfen für Schoppen, wie Musik zu komponieren oder einen Film zu drehen. Es gibt einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluss, und während der ganzen Zeit soll keine Langeweile aufkommen. Was bei klassischen Achterbahnen gar nicht so einfach ist, weil sie nur einmal einen Berg hochgezogen werden und dann bloß noch Schwung und Schwerkraft nutzen können.
Einen Motor haben die meisten Wagen nicht, aber einige wie Taron im Phantasialand werden durch einen elektrischen Katapultstart auf Geschwindigkeit gebracht. Dazu braucht es keinen Hügel. Die Kurven von Taron sind rasant und eng, man hat abwechselnd das Gefühl, aus dem Fahrzeug geschleudert oder in den Sitz gedrückt zu werden. Das sind die G-Kräfte, jene Kräfte, die bei einer abrupten Veränderung von Richtung oder Geschwindigkeit auf den Körper einwirken. Positive G-Kräfte pressen einen in den Sitz, negative Kräfte heben einen heraus, die sogenannte Airtime. Bei null G-Kräften herrscht Schwerelosigkeit. Das Zusammenspiel macht das Erlebnis aus. Übertreiben darf Schoppen es nicht. Der Mensch erträgt starke G-Kräfte nur über einen gewissen Zeitraum, sonst droht Bewusstlosigkeit oder Schlimmeres. Theoretisch könnte man eine Achterbahn so konstruieren, dass am Ende aufgrund der G-Kräfte jeder Mitfahrer gestorben ist.
Schoppen fährt jede Achterbahn, die er entwickelt, auch selbst, und wenn er Urlaub hat, dann fährt er häufig in Freizeitparks, dabei hat er nur fünf Wochen. Zwischen 1300 und 1400 verschiedene Achterbahnen ist er gefahren. Viele Menschen gibt es nicht, die das übertreffen, besagt ein Ranking, in dem Achterbahnfans ihre Fahrten eintragen. Es gibt auch nicht so wirklich viele Menschen, die einen Job haben wie er. Circa 20, schätzt er.
Eine Achterbahn von Intamin fängt bei zwei Millionen Euro an, das ist dann allerdings eine kleine. Zweistellige Millionenbeträge sind locker drin, manchmal auch über 50. „The sky is the limit“, sagt Schoppen. Ein Trend sind Storycoaster. Eine Achterbahnfahrt, die eine Geschichte erzählt. Schoppen hat zum Beispiel in den USA dabei geholfen, eine Achterbahn zu entwickeln, in der man auf dem Motorrad von Hagrid fährt, dem Hogwarts-Greenkeeper aus „Harry Potter“. Die Fahrt ist viel mehr als das Auf und Ab. Sie führt durch einen Wald an Figuren vorbei. Sieben Mal wird beschleunigt, die Wagen fahren auch rückwärts. Mehr als 300 Millionen Dollar soll „Hagrid’s Magical Creatures Motorbike Adventure“ im Freizeitpark „Universal’s Islands of Adventure“ gekostet haben, nicht nur die Achterbahn, sondern die ganze Anlage. In Deutschland sind 20 Millionen Euro schon außerordentlich. Im Kleinen kann man so einen Storycoaster in Bottrop in der „Movie Park Studio Tour“ fahren, die ebenfalls von Intamin errichtet wurde.
„Theoretisch kann man alles machen, aber man will auch nicht alles machen“, sagt Schoppen. Es hat auch schon Kundenwünsche für Fahrfiguren gegeben, die zu extreme Beschleunigungswechsel mit sich gebracht hätten. „Ein Achterbahn-Fahrer ist kein Formel-1-Pilot“, sagt Schoppen. Sein Ziel ist es, dass die Freizeitparkbesucher nach der Fahrt so beeindruckt sind, dass sie noch mal fahren wollen, aber eben nicht so eingeschüchtert, dass sie es kein zweites Mal wagen. „Die Angst und Anspannung vorher soll sich am Ende in ein Glücksgefühl verwandeln“, sagt er. „Wenn ich etwas zu extrem oder zu lange mache, habe ich den Bogen überspannt.“
Da muss er Auftraggeber gelegentlich bremsen. So war es auch in Saudi-Arabien. Die Fahrt durfte auch nicht zu lang werden, und die Höchstgeschwindigkeit erreichen die Wagen erst am Ende. Trotzdem wird die Achterbahn eine Klippe hinunterfahren. Eine Klippe, an die sich Schoppen heranrobben musste bei der Besichtigung des Geländes. Auf einer Achterbahn fürchtet sich Schoppen nie, da vertraut er der Technik. Aber der Mann, der die höchsten Bahnen der Welt baut, hat Höhenangst.