Sozialgeschichte der Stadt Krefelds soziale Entwicklung im 19. Jahrhundert
Stadtarchiv erforscht Sozialgeschichte der Stadt von der Seide zu Chemie und Maschinenbau in einem neuen Projekt.
Krefeld. Von Null auf Hundert oder vom Dorf zur Stadt — Krefeld explodierte im 19. Jahrhundert förmlich dank der Seidenindustrie und ihrer Nachfolger Chemie und Maschinenbau. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts zählte Krefeld gerade einmal 350 Einwohner. Gut zwei Jahrhunderte später — 1815 — war dank der Seidenbarone aus dem Dorf eine Kleinstadt mit 1500 Einwohnern entstanden. „1887 verzeichnete die Stadt dann mit 100 000 Menschen eine unglaubliche Entwicklung, und das ist auch das Thema unseres neuen Forschungsprojekts“, sagt Stadtarchivleiter Olaf Richter am Mittwoch bei der Vorstellung der „Sozialkartierung“ .
Für die Projektbetreuung hat die Stadt eigens Tristan Pfeil für eineinhalb Jahre eingestellt. Er hat in Bochum Theologie und Wirtschaftsgeschichte studiert und einschlägige Erfahrung gesammelt, etwa mit der Erforschung der Proletarisierung der Bergleute im Ruhrgebiet. Das Krefelder Projekt ist jetzt Teil seiner Doktorarbeit. Die Projektkosten belaufen sich auf 70 000 Euro. Der Landesverband Rheinland übernimmt davon 50 000, die Kulturförderung der Stadt 20 000 Euro.
Richter berichtet: Die Auswertung vorhandener Quellen soll die bereits vorliegenden Bände der Stadtgeschichte ergänzen. Der letzte Band von Professor Peter Kriedte enthält die Wirtschaftsgeschichte der Stadt im 18. Jahrhundert, als sich Krefeld zur reichsten Stadt Preußens entwickelte - gemessen am Steueraufkommen.
Es war die starke Zeit der Seidenbarone und der Familie von der Leyen, die 1840 ihre Produktion einstellte. Danach entwickelten sich aus etwa fünf Firmen 150 Unternehmen. Einzelne Produktionszweige wie die Färbereien spalteten sich auf, wobei sich daraus die ersten Chemiefirmen bildeten. Durch die Mechanisierung der Handweberei entstand der Maschinenbau, der zunächst Webstühle aus Holz und später aus Metall fertigte.
„Eine spannende Zeit und eine anspruchsvolle Aufgabe für Tristan Pfeil“, sagt Richter, die auch die soziale Stellung der Arbeiter, die Parteien und die Einstellung der Arbeitgeber zwischen Fürsorge und christlicher Nächstenliebe sowie Kapitalisierung und Ausbeutung beleuchten soll.
Das 19. Jahrhundert sei bisher noch nicht richtig erforscht. „Die Quellen sind lückenhaft“, sagt er. Es gebe statistisches Material wie Einwohnerlisten. Speziell das ebenfalls im Stadtarchiv ruhende Mennoniten-Archiv habe die Weltkriege unbeschadet überstanden. 16 laufende Meter schriftliches Material sollen ausgewertet und digitalisiert werden wie der gesamte Bestand des Stadtarchivs.
„Erstaunlich, dass so wenig von den vielen Firmenarchiven übrig ist“, bedauert Pfeil und hofft darauf, dass Zeitzeugen vielleicht weiterhelfen können und wissen, wo sich Überreste alter Dokumente befinden. Mitte nächsten Jahres soll das Ergebnis des Projekts vorliegen — voraussichtlich als Band 16 in Form der „Krefelder Studien“. „Historiker aus aller Welt bis nach Australien werden daran Interesse haben“, sagt Richter voraus. Geplant sind außerdem Hausveranstaltungen und externe Vorträge.