Interview mit „Krieg und Freitag“ „Die Krise kehrt eher das Gute hervor“

Krefeld · Der in Krefeld aufgewachsene Tobias Vogel veröffentlicht unter dem Namen „Krieg und Freitag“ lakonische Strichmännchenzeichnungen. Die beschäftigen sich nun auch mit dem Coronavirus.

Tobias Vogel ist gebürtiger Krefelder und bekannt geworden mit seinen Zeichnungen „Krieg und Freitag“.

Foto: ja/Tobias Vogel

Für seine Pointen braucht Cartoonist Tobias Vogel weder viele Worte noch viele Striche, auch nicht in der Coronakrise. Eine gesichtslose Figur lässt er aus einem Fenster sagen: „Langsam holt sich die Natur alles zurück. Gegenüber haben jetzt ein paar Rehe eine Bar eröffnet.“ Mit solchen Zeichnungen hat der 37-Jährige unter dem Namen „Krieg und Freitag“ auf Instagram und Twitter zehntausende Fans gewonnen und 2019 einen Grimme Online Award. Vogel wuchs in Krefeld auf, mittlerweile wohnt er mit seiner Frau und seinem einjährigen Sohn in Hamburg. Er arbeitet bei einer Versicherung, erlebt die Ausnahmesituation aber in der Elternzeit.

Ich bin mir unsicher, ob das eher ein ernstes oder ein lockeres Gespräch wird.

Tobias Vogel: Auch ich schwanke zwischen den Stimmungen.

Duschen Sie noch?

Vogel: Ich habe einen Hund und deshalb einen Grund, täglich das Haus zu verlassen.

Sie sind im Home Office. Wo wären Sie nun eigentlich?

Vogel: In meinem Atelier. Das klingt gestelzt, es ist nur ein angemieteter Büroraum. In den fahre ich normalerweise täglich, weil ich mich nicht gut konzentrieren kann, wenn andere Leute um mich herum sind, in diesem Fall meine Frau und mein Kind. Leider ist das Atelier nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Da ich die wegen Corona vermeide, fahre ich seit einigen Wochen nicht mehr hin.

Wie sieht Ihr Home Office aus?

Vogel: Ich sitze mit meinem Kram am Esstisch auf einem nicht besonders ergonomischen Stuhl. Alles liegt voll von meinem Zeug. Vor mir mein MacBook oder mein Skizzenblock, und dann versuche ich, einigermaßen was hinzubekommen.

Ist das schwieriger als im Atelier?

Vogel: Viel schwieriger. Im Atelier kann ich meine Gedanken schweifen lassen. Hier kann ich mich, selbst wenn meine Frau da ist, nicht permanent rausnehmen. Ich bin leicht abzulenken, um mich herum krakeelt ein Kind. Ich vermisse das Atelier sehr und trete schon selber mit mir in Verhandlungen. Ob es nicht möglich wäre, außerhalb der Stoßzeiten mit der Bahn zu fahren.

Hätten Sie es sich leichter vorgestellt?

Vogel: Ich hätte gar nichts von dem gedacht, was gerade passiert. Niemand kann die Situation in ihrer Gesamtheit intellektuell erfassen und was sie für einen selbst bedeutet. Am Anfang fand ich es fast ein wenig spannend. Das hat ziemlich schnell nachgelassen. Jetzt wechseln sich die Gemütszustände ab, die meisten eher negativ. Dass das noch Monate so weitergehen soll.

Wie viel Quadratmeter hat Ihre Wohnung?

Vogel: 80.

Schon mal überlegt, wenn es noch schlimmer kommt, vorübergehend zurück nach Krefeld zu ziehen? Da ist man auch schneller im Grünen.

Vogel: Hier sind wir auch schnell im Grünen. Wenn ich eine Viertelstunde laufe, bin ich in einem relativ großen Wald. Aber ich habe mir ausgemalt, wie das in einem einsamen Häuschen auf dem Land wäre. Einen großen Radius zu haben, ohne jemandem zu begegnen.

Gehen Sie noch irgendwo hin außer mit dem Hund vor die Tür?

Vogel: Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Einkaufen. Keine Kontakte über Frau und Kind hinaus.

Maske auf?

Vogel: Habe ich gestern zum ersten Mal gemacht, weil ich zur Post musste und die Poststelle relativ beengt ist. Zumal ich so einen leichten Husten und Kratzen im Hals habe, was vermutlich auf einen Infekt des Kindes aus der Kita zurückgeht. Aber vielleicht waren es auch ganz schwache Corona-Symptome. Und mit einer Maske schützt man die anderen. In der Poststelle war ich der einzige, der die Maske trug. Die Leute haben sich nichts anmerken lassen. Vielleicht haben sie gedacht: Das ist auch einer von diesen Hysterikern. Aber das wird mehr werden.

Tobias Vogel versucht mit seinem Sohn auf den Schultern zu arbeiten. Dieses Bild hat er bei Twitter veröffentlicht.

Foto: ja/Tobias Vogel

Überall ist zu lesen, für welche Projekte jetzt Zeit sei. Haben auch Sie plötzlich mehr Zeit?

Vogel: Nein. Ein paar Termine sind ausgefallen wie die Buchmesse in Leipzig und zwei Lesungen. An diesen Tagen hatte ich mehr Zeit. Im Großen und Ganzen findet meine Arbeit am Schreibtisch statt. Diejenigen, die jetzt deutlich mehr Zeit haben in meinem Umfeld, sind die Bühnenkünstler.

Die freuen sich vermutlich irre.

Vogel: Die sind richtig aus dem Häuschen. Die lernen jetzt sicher gerne eine Fremdsprache.

„Das Leben fühlt sich grad wie ein Job ohne Feierabend an“, haben Sie getwittert.

Vogel: Ich bin sowieso nicht der entspannteste Typ, aber jetzt bin ich gar nicht mehr entspannt. Mittlerweile kommt immerhin nicht mehr alle zehn Minuten eine neue Erkenntnis oder eine neue Hiobsbotschaft. Ich verfolge permanent die Newslage. Und bin auch angespannt aufgrund der diversen Sorgen, die ich mir mache.

Die da wären?

Vogel: Einmal Sorge um mich selbst. Ich kann nicht, nur weil ich 37 bin, davon ausgehen, keinen schweren Verlauf zu haben. Dann Sorge um Freunde und Familie. Dann, auch wenn das nicht so schick ist in meinen Kreisen, mache ich mir heimlich Sorgen um die Wirtschaft. Ich weiß aber nicht, was Probleme der Wirtschaft genau für uns bedeuten. Da kenne ich mich zu wenig aus. Ich kann nicht vorhersehen, auf was ich mich gefasst machen sollte. Ich mache mir um alles Sorgen, aber zum Glück kann ich mir nicht um alles gleichzeitig Sorgen machen.

Vielleicht ist es ganz gut, da ein Kind vor der Nase zu haben.

Vogel: Absolut. Zumal das Kind mit einem Jahr überhaupt nicht versteht, was da aus dem Lot ist. Es ist den ganzen Tag wahnsinnig gut gelaunt und findet allein in der Wohnung einen Haufen Sachen, die super spannend sind.

Läuft Ihr Sohn schon?

Vogel: Es kann jeden Moment so weit sein. Es gab gestern und vorgestern einen Moment, wo er gestanden hat.

Wünschen Sie sich insgeheim, dass er damit noch wartet?

Vogel: Mir fehlt die Erfahrung, was es mit sich bringt, wenn er läuft. Ich weiß noch nicht, wie viel anstrengender das wird.

Nervt das Kind momentan verstärkt?

Vogel: Wahrscheinlich ja, mir fehlt der Vergleich. Wenn ich gerade versuche, eine Idee zu Papier zu bringen und er ankommt und getragen werden will und auf meinem MacBook rumkloppen möchte, ist das süß, bringt mich aber nicht vorwärts.

Haben Sie angefangen, sich zu vernachlässigen?

Vogel: Kulinarisch. Ich gehöre zu den Leuten, für die schlechte Ernährung eine seelische Stütze ist, um durchzukommen. Beach Body braucht man in diesem Jahr sowieso nicht. Es wird aktuell viel kontaktlos bestellt.

Auch Pizza?

Vogel: Die wird nicht nur bestellt, sondern aus der Packung in den Ofen geschoben. Pizza Hawaii ist kein so großes Verbrechen, wie man sagt. Gerade gucke ich auf eine Pizza Lahmacun Style von Dr. Oetker.

In einer seiner Zeichnungen thematisiert Tobias Vogel die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Natur — mit dem ihm eigenen Humor.

Foto: ja/Tobias Vogel

Sind Ihnen an sich selbst Veränderungen aufgefallen?

Vogel: Dünnhäutigkeit. Da denke ich, dass ich mich an die Situation gewöhnt habe, dann geht eine Kleinigkeit schief, mir fällt was runter, und ich gehe an die Decke.

Sind Sie sonst eher stabil?

Vogel: Das nicht. Die Sachen, die vorher vorhanden waren, haben sich verschärft.

Sie stellen gerade ein Buch fertig.

Vogel: Wenn es dann noch Verlage gibt, wird es im Herbst rauskommen. Bis zum 15. April muss ich fertig werden.

Liegen Sie gut in der Zeit?

Vogel: Ich liege schlecht in der Zeit, glaube aber immer noch daran, dass es sich nicht verzögern wird. Ich mache vieles auf den letzten Drücker.

Es gibt für Künstler zwei Strategien, mit der Krise umzugehen. Sich der Situation stellen oder seine Fähigkeiten nutzen, im Kopf in eine andere Welt zu fliehen. Wie machen Sie es?

Vogel: Ich stelle mich der Situation, meine Zeichnungen beschäftigen sich ja damit. Das Zeichnen war für mich nie eine Form zur Realitätsflucht, sondern ein Mittel, um die Realität auf meine Art zu verarbeiten. Aktuell fällt es mir sowieso schwer, über etwas anderes nachzudenken als Corona.

Hilft Ihnen das Zeichnen, um mit der Situation klarzukommen?

Vogel: Ehrlich gesagt nicht. Wenn Leute über meine Zeichnungen zum Thema sagen, dass es ihnen ähnlich geht, kann das Gefühl, nicht allein zu sein, durchaus aufheitern. Aber es ist nicht so, dass ich meine seelischen Nöte zu Papier bringe, und danach geht es mir besser. Das war noch nie der Fall. Entschuldigung, das Kind will hochgehoben werden... Jetzt hat sich meine Frau erbarmt.

Ein künstlerischer Mensch ist empfänglicher und damit auch empfindlicher als der Durchschnitt, gerade in einer Ausnahmesituation. Gilt das auch für Sie?

Vogel: Total. Wenn ich mit meiner Mutter oder Leuten aus meinem Umfeld spreche, stelle ich so eine halboptimistische Grundhaltung fest, in Richtung „Das wird schon“. Es macht mich wahnsinnig, dass die Leute auf eine Weise resilient sind, die keine Rechtfertigung in der Realität hat. Ich nehme eine Situation wie diese schon härter als die meisten anderen.

Sie sind also nicht an dem Punkt, an dem Sie sagen „Wird schon“?

Vogel: Nein, überhaupt nicht. Wobei ich auch nicht weiß, dass es nicht wird. Ich habe mal den Begriff Hyperobjekte in Zusammenhang mit dem Klimawandel gelesen – Ereignisse, die unmöglich in ihrer Gesamtheit zu erfassen sind. Vielleicht habe ich aber diese Hoffnung: dass wir noch mal neu über Dinge nachdenken, jetzt, wo wir sehen, was alles möglich ist. Ob unser Leben auch anders ginge.

Bringt die Krise eher die besten oder die schlechtesten Seiten im Menschen hervor?

Vogel: Wir tendieren dazu, den Mensch als schlecht zu betrachten. Da kann man sich ganz schön irren. Deswegen sage ich, auch wenn ich mich selbst überzeugen muss: Die Krise kehrt eher das Gute hervor. Wenn die Leute überall lesen, dass die Menschen schlecht sind, dann verhalten die sich auch so. Wenn man ihnen einen Vertrauensvorschuss gibt, verhalten sie sich besser. Die Leute hamstern das Toilettenpapier ja nur, weil sie denken, die anderen tun es auch.

Was sollten wir uns nach der Krise beibehalten?

Vogel: Die Welle der gegenseitigen Solidarität. Für Nachbarn einkaufen gehen. Die Menschen sollten sich nicht nur daran erinnern, dass es Vollidioten gab, die sich weiterhin in Gruppen zusammengerottet haben.

Sind Sie schon in der Lage, an eine Zeit nach Corona zu denken?

Vogel: Wenn ich an eine Zeit nach Corona denke, denke ich an den Zustand, der vorher herrschte, und wünsche mir ganz naiv, das alles so wird wie vorher. Aber es wird nicht mehr so wie früher. Das Virus wird besiegt sein, aber die Normalität von vorher wird nicht zurückkehren. Niemand weiß, wie die neue Normalität aussehen wird. Die Erfahrung, als gesamte Welt durch eine Krise gegangen zu sein, kann Grenzen einreißen, aber im Großen und Ganzen wird es ein nicht mehr ganz so bequemes, angenehmes Leben sein, wie wir es kannten. Vielleicht stellen wir aber auch fest, dass viele Annehmlichkeiten gar nicht so wichtig sind.

Was werden Sie als Erstes tun?

Vogel: Essen gehen.