Bauhaus Stroh und Möbel fürs alternative Wohnen

Krefeld · Witzige und kecke Künstler aus London, Ljubliana und Amsterdam entwerfen Ideen zum „Anders Wohnen“ in der Bauhaus-Ikone Haus Lange.

Magdalena Holzhey, Sylvia Martin und Katia Baudin (v. l.) vor der Installation „Rückgabe Reimbursement Cells“ aus Reet und Fachwerk von Olaf Holzapfel.

Foto: Bischof, Andreas (abi)

Die Architektur-Ikonen Haus Lange und Haus Esters waren Ende der 1920er Jahre für eine wohlhabende Gesellschaftsschicht konzipiert. Ihnen hat die Krefelder Museumschefin Katia Baudin zum Bauhaus-Jubiläum zunächst in fast leeren Ausstellungsräumen ihre Referenz erwiesen. Aber jetzt geht es nicht mehr nur um die Zeitzeugen des Neuen Bauens von anno dazumal, sondern ganz konkret um die Gegenwart und die Zukunft des menschlichen Zusammenlebens. Mit den Kuratorinnen Magdalena Holzhey und Sylvia Martin läutet sie ein Großprojekt in drei Akten ein, dessen erster Akt am Sonntag um 11.30 Uhr in Haus Lange eröffnet wird. Es nennt sich „Anders Wohnen“, wobei Künstler, Designer und Architekten utopische Wohn- und Lebensentwürfe auf ästhetische Weise präsentieren. Das ist keine Schmalspur-Ausstellung mehr, sondern eine interdisziplinäre Schau, in der der Alltag eine große Rolle spielt.

Möbel aus Second-Hand-Läden erwachen zu einem neuen Glanz

Witzig, intelligent und kunsthistorisch verankert ist das Werk des Elsässers Franck Bragigand, der derzeit in Amsterdam lebt. Man könnte den Künstler als einen Reste-Verwerter bezeichnen. Er bedient sich des Krefelder Fairkaufs für ausrangierte Möbel bei der Caritas, auf dem Emmaus Second Hand Markt und in der „Möbeltapete“. Er sucht aber auch auf den Müllhalden der Hochschule Niederrhein nach passenden Dingen. So stellt er ausrangierte Stühle und Tische aus den 1950er und 1960er Jahren für ein alternatives Wohnzimmer zusammen und malt Teile oder ganze Partien in modernen Farben an. Die Abfallprodukte werden dank seiner Eingriffe zu neuen Kunstwerken.

Chinesische Billigvasen wertet er auf, indem er auf die Außenhaut eine Mischung aus Farben und aus Erden der Gärten von Haus Lange und Haus Esters aufträgt und trocknen lässt. Hocker pinselt er in einem hellen, strahlenden Kolorismus an und türmt sie zu Brancusi-Säulen aufeinander. Das Beste aber ist sein Projekt, das er zusammen mit 47 Bürgermeistern in 47 Dörfern in Frankreich verwirklicht hat. Fassaden, Kapellen, Schulen und Bibliotheken verlieren dank seiner Entwürfe ihre Tristesse und nehmen mithilfe seiner Farbpalette eine neue Schönheit an. „Ich verkaufe Ideen“, erklärt er dazu.

Reetdächer und Strohwände für den Single-Raum der Ruhe

Der ursprüngliche Salon der Familie Lange wird fast versperrt von Olaf Holzapfels monumentalen Skulpturen aus nichts anderem als Stroh oder Schilfrohr und aus Holz, das die ausgetrockneten Halme zusammenhält. Man darf in diese deckenhohen Hütten eintreten und die Ruhe des schalldichten Raums genießen. Die Strohbahnen schwingen sich gleichsam in den Ausstellungsraum und wechseln zwischen Innen- und Außenräumen. Steht man im halbdunklen Inneren, fühlt man sich an die Hütten der Ureinwohner in Afrika erinnert. Nur sind die aktuellen Gebilde höher und nicht für eine Großfamilie am Äquator, sondern für einen Single gedacht.

Car-Sharing für die Wohnungen einer Genossenschaft

Pfiffig ist das Projekt von Christopher Kulendran Thomas aus London. Er empfiehlt ein Car-Sharing-Projekt für Wohnungen weltweit, das auf genossenschaftlicher Basis beruht. Es ist eine geschickte Reaktion auf steigende Mietpreise und kostenträchtige Hotelzimmer. Seine Ideen entspringen einem utopischen Kommunismus. Seine Räume sind immer gleich und fast leer. Sie haben Computer-Plätze und grüne Dauerpflanzen, die in klima-neutralen Glaskästen mit einem eigenen Wasserkreislauf existieren, so dass das lästige Blumengießen entfällt.

Im zweiten „Akt“ geht es um den sozialen Wohnungsbau

Auf ihre Realisation warten zwei Projekte, die derzeit nur als Entwürfe vorliegen. Andreas Schmitten aus Düsseldorf will sich im zweiten „Akt“ der Ausstellung den Außenbereich von Haus Lange vornehmen und ihn entweder mit Pflanzen überwuchern lassen oder mit den Überbleibseln aus defekten Markisen und Spielplatzresten in eine apokalyptische Variante übersetzen. Und die Architektin Apolonija Sustersic aus Ljubljana legt schon jetzt über den opulenten Grundriss von Haus Lange den ärmlichen Grundriss für eine soziale Dreizimmerwohnung. Wer will, kann das Poster mit nach Hause nehmen. Anfang 2020 will sie realiter eine Drei-Zimmer-Wohnung aus Krefelds einzigem Hochhaus, dem „Mississippi-Dampfer“, mit seinen knapp 90 Quadratmetern in die offene Architektur von Haus Lange implantieren.

Ein Koffer, der für die mobile Gesellschaft zugleich als Sitz dient

Erst am Sonntag will das Design-Duo Bless all den Migranten und Reisenden, die von einer Wohnung zur nächsten ziehen, einen besonderen Koffer anbieten. Er lässt sich an jedes Fensterbrett andocken und dann als Sitzgerät benutzen. Die Künstler, die auch als Modedesigner arbeiten, suchten nach einem Objekt, das man bei jedem Umzug von zu Hause mitnehmen kann. Ein Koffer also als Möbelstück, das sich an die wechselnde Architektur anpasst. Und als Zeichen für ein mobiles Lebensmodell.

Das Duo Dunne & Raby plant Objekte für eine Welt von morgen, die gleichfalls erst am Sonntag zur Eröffnung zu sehen sein werden.