Geschichte Theater in der Provinz – aber kein Provinztheater
Eine umfangreiche Doktorarbeit beschäftigt sich mit der Geschichte des Krefelder Stadttheaters von 1884 bis 1944.
Die Krefelderin Britta Marzi hat in Berlin und Paris Geschichte, Publizistik- und Theaterwissenschaft studiert. Promoviert hat sie 2015 zum Thema „Theater in der Provinz“ und dabei das Krefelder Theater zum Fallbeispiel gemacht. Der Titel der Dissertation lautet in voller Länge: „Theater im Westen – die Krefelder Bühne in Stadt, Region und Reich (1884–1944). Rahmen, Akteure, Programm und Räume des Theaters in der Provinz“. Man braucht seine Zeit, um sich durch das 536 Seiten dicke Werk zu arbeiten, das Material in großer Fülle ausbreitet und seit dem Jahr 2017 auch als Buch vorliegt.
„Theater in der Provinz“, man kann das auch im Begriff „Provinztheater“ zusammenfassen. Dieser ist laut Marzi immer noch „pejorativ“, also abwertend oder auch negativ besetzt. Provinziell, damit wird meist rückständig gemeint. Die Düsseldorfer Literaturwissenschaftlerin Gertrude Cepl-Kaufmann plädiert in ihrem Vorwort dafür, „an die kulturprägende Kraft der vermeintlichen Provinz zu erinnern“, und auch Marzi diskutiert den Begriff vielschichtig.
Inwiefern zählt eine Großstadt wie Krefeld zur Provinz?
Theater sei in Deutschland „quantitativ betrachtet vor allem das Stadttheater“ und damit eben überwiegend „Theater in der Provinz“. In der Theaterwissenschaft aber dominiere das Interesse am vermeintlich Herausragenden. „Doch Theater ist mehr als das ästhetisch Herausragende“, schreibt Marzi, und weiter: „Theatergeschichte ist nicht nur die Geschichte von Avantgarde und Innovation.“
Sie plädiert daher für „einen unvoreingenommenen Provinztheaterbegriff“ und zählt zunächst einmal pragmatisch „zum Theater der Provinz alle Bühnen, die sich nicht in der Reichshauptstadt (Berlin) befanden“. Zu fragen sei darüber hinaus: „Inwiefern zählt eine . . . Großstadt wie Krefeld, die 1887 die 100 000-Einwohner-Marke überschritt, zur Provinz?“ Ihre Studie zeige, dass die Provinz „zugleich rückständig und experimentierfreudig“ war, befindet Marzi weiter und weist damit die einseitige Abwertung des Provinziellen zurück.
Der Untersuchungszeitraum der Dissertation erstreckt sich von 1884 bis 1944. Das sind immerhin 60 Jahre, in denen das Theater eine Monarchie, eine Republik und eine Diktatur durchlebte. 1884 ist das Gründungsjahr des „Crefelder Stadt-Theaters“ als „Actiengesellschaft zu Crefeld“.
1944 wird wegen des zweiten Weltkrieges der Theaterbetrieb in ganz Deutschland zum 1. September eingestellt. Die letzten Krefelder Theatervorstellungen vor diesem Datum finden allerdings schon in Ausweichspielstätten statt, da das Haupthaus des Krefelder Stadttheaters beim großen britischen Bombenangriff im Juni 1943 zerstört wird.
Der Urbau des Krefelder Stadttheaters, das ist der sogenannte „Rumpsche Saal“. Das vom Weinhändler Michael Rump 1825 an der späteren Rheinstraße erbaute Gebäude blieb bis zu seiner Zerstörung 1943 in Grundzügen erhalten. Es gab allerdings davor schon andere Spielstätten.
Finanzielles und
ideelles Engagement
Seinen großen Aufschwung erlebt das Theater in Krefeld erst nach der Gründung der Stadt-Theater-AG 1884. Das Rumpsche Theater war 1881 aus Brandschutzgründen geschlossen worden.
Der Aktiengesellschaft gehörten Mitglieder der reichsten Krefelder Familien an, führender Kopf war der Seidenfabrikant Albert Oetker. Die AG erwarb das Gebäude 1884, modernisierte es und konnte es 1886 wieder eröffnen. Das starke finanzielle und ideelle Engagement der Krefelder Bürger für ihr Theater fasst Marzi so zusammen: „Theater in Krefeld war . . . stets ein bürgerliches Projekt.“
Das Theater erhält ab 1887 zwar schon städtische Zuschüsse, zum kommunalen Theater, also zum Stadttheater im wörtlichen Sinne, wird es aber erst ab 1913. Die Aktiengesellschaft überträgt der Stadt ihr Vermögen und ihre Grundstücke mit Wirkung zum 1. Mai.
Marzis umfangreiche Aufarbeitung der Krefelder Theatergeschichte arbeitet sich detailreich an den Komplexen „Akteure“, „Programm“ und „Räume“ ab. Unter Letzterem versteht sie die „Verortung in Stadt, Region und Reich“. Die wechselvolle und nebenbei auch anekdotenreiche Geschichte des Krefelder Theaters wird so differenziert dargestellt, dass sich am Ende die Frage nach der Provinzialität im negativen Sinne gar nicht mehr stellt.
Anknüpfungspunkte an
die hauptstädtische Kultur
Zwar schreibt Marzi: „Krefeld war kein Zentrum der Avantgarde, und auch seine Theaterarbeit war nicht in erster Linie avantgardistisch“, aber andererseits stellt sie fest: „Das Theater der Provinz vermittelt Bühnenerlebnisse in der Fläche und bot ihren Bewohnern Anknüpfungspunkte an die hauptstädtische Kultur.“
Zwischen 1908 und 1942 wurden im Krefelder Theater auch 74 Uraufführungen gezeigt, womit es die zeitgenössische Dramatik förderte, schreibt Marzi, auch wenn damit noch nichts über die Qualität gesagt ist. Die Autorin weist nach, dass im breiten Mehrspartenangebot des Krefelder Theaters der Wunsch nach Unterhaltung zwar auch abgedeckt, der Bildungsanspruch aber nicht vernachlässigt wurde. Hierfür stehen die „Klassikerpflege“ im Schauspielbereich und ein anspruchsvolles Musiktheater, das sich in Krefeld aber auch auf die traditionell große Wertschätzung des musikalischen Lebens durch das Bürgertum verlassen konnte.
Marzi schließt ihre Arbeit mit einem Appell: „Die deutschen Theater in der Provinz haben viel zu bieten. Dies dem Publikum, aber auch der Politik in Zeiten leerer Kasse selbstbewusst zu vermitteln ist ihre größte Herausforderung.“ Die Finanzen des Gemeinschaftstheaters Krefeld Mönchengladbach sind allerdings im Rahmen des Konzepts „Theater mit Zukunft III“ bis 2025 gesichert. Das konnte Marzi beim Abschluss ihrer Arbeit noch nicht wissen.
Weltkriege und
Umbrüche überstanden
Dennoch hat sie Recht, denn sowohl die politischen Krisen der Gegenwart als auch die Digitalisierung setzen Akteure im Kulturbereich jetzt schon unter erheblichen Legitimationsdruck und werden das absehbar auch weiter tun. Da kann ein Blick in die Vergangenheit zum Beispiel des Theaters, wie ihn Marzi fundiert unternommen hat, nicht schaden. Zwei Weltkriege hat das Theater überstanden, viele gesellschaftliche Umbrüche, nicht zuletzt die Zeit des Nationalsozialismus.