Theater hintenlinks Aus der Gedankenwelt eines Querdenkers
Krefeld · In einer szenischen Lesung im Theater hintenlinks erinnerte Michael Grosse an den Schauspieler Manfred Krug.
Mit Biografien von Schauspielern und sonstigen Prominenten kann man die Straße pflastern. Und darüber soll eine szenische Lesung in Ausschnitten gelingen? Das Theater hintenlinks in der alten Brotfabrik an der Ritterstraße ist für seine Experimentierfreude mit ungewöhnlichen Aufführungen bekannt. In diesem Fall stimmte die Mischung aus spannender, literarischer Textvorlage und Top-Darstellern. So gelang es dem städtischen Theater-Generalintendanten Michael Grosse dank seiner Ausstrahlung und akzentuierten Aussprache, mit kritischer Distanz ein Sittengemälde über die Kriegswirren anhand der Kindheit des Schauspielers und Jazz-Musikers Manfred Krug entstehen zu lassen. Den würdigen Rahmen bot das bewusst stark reduzierte Bühnenarrangement mit „Wäscherin“ Anuschka Gutowski in der Rolle der taubstummen „Urmutter“ Johanna der Krug-Familie.
Als singender Tatort-Kommissar
und Anwalt Liebling in Erinnerung
Der 2016 verstorbene Manfred Krug ist vielen als singender Tatortkommissar Paul Stoever an der Seite von Charles Brauer und als Anwalt in der Erfolgsserie Liebling Kreuzberg bekannt. Nach dem Krieg war er 1949 mit seinem Vater, der sich von Krugs Mutter getrennt hatte, nach Leipzig gezogen. Der Vater hatte dort einen Job als Hüttenarbeiter gefunden. Manfred Krug erlernte zunächst den Beruf des Vaters, später machte er als Jazz-Sänger, Kino- und Fernsehstar Karriere in der DDR. Weil der unangepasste Freigeist und Querdenker das Protestschreiben gegen die Ausbürgerung des Schriftstellers Wolf Biermann unterzeichnet hatte, erhielt er Berufsverbot. Nachdem sein Ausreiseantrag 1977 genehmigt wurde, setzte er im Berliner Westen nahtlos seine Karriere fort.
Das Theater hintenlinks und sein Unterstützer Michael Grosse nahmen die spannende Krug-Biografie „Mein schönes Leben“ zum Anlass, um die dokumentierten Gedanken des jungen Manfred Krug für das Krefelder Publikum erlebbar zu machen. Zu Mutter Lisa hatte der kleine Krug keine richtige Beziehung. Über seinen Vater Rudolf, einen Schwerenöter, der immer Verhältnisse mit anderen Frauen hatte, bei denen ihn der Sohn decken sollte, schrieb er: „Mal mag ich ihn, mal nicht“. Das bezog sich auf dessen harte Strafen bei kleineren Vergehen. Heiß geliebt hat Manfred Krug seine Oma Lisa, die ihn liebevoll „mein kleiner Zigeuner“ nannte. Bei und mit ihr verbrachte er glückliche Stunden an seinem Geburtsort in Duisburg.
1939 zog die Familie berufsbedingt nach Henningsdorf vor den Toren Berlins. Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Manfred Krug „wegen der Russen“ nach Duisburg zur Oma geschickt, weil sich Soldaten in seinem Elternhaus in Henningsdorf niedergelassen hatten.
Die Biografie Krugs steckt voller kindlicher Fragen und Staunen. Sein naives Kommentieren ist altersgerecht mit unverstelltem Blick auf die Themen des Krieges und das Verhalten seiner Umwelt. Vor allem aber offen und ehrlich, versehen mit einer guten Beobachtungsgabe, was seine Biografie literarisch als ein Stück Zeitgeschichte wertvoll macht. Die Sprache wechselt zwischen deftig und humorvoll, der Inhalt zwischen Fliegeralarm im Bunker und Verdunklungsspielen im Kindergarten zum Schrecken der Nonnen.
Ein weiterer Erzählstrang betrifft die Urgroßmutter Johanna Krug, bis zu der die Familiengeschichte zurückreicht. Sie lebte als Wäscherin ärmlich, aber durchaus zufrieden. Anuschka Gutowski spielt im Bühnenhintergrund wunderbar dezent auf leisen Sohlen die taubstumme Johanna – die Stimme kommt aus dem Off – zündet eine Kerze und eine Petroleumlampe an, wringt hin und wieder Wäschestücke aus, hängt sie auf, wiegt ihr uneheliches Kind im Korb und legt sich zur Ruhe. Ebenso sparsam agiert Grosse, wechselt zwischen einem Tisch und einem Stuhl oder nimmt einfach auf den Bühnenbrettern Platz. Lediglich auf seine sonst so tiefe, voluminöse Stimme muss das Publikum verzichten. Sie hätte nicht zu dem kleinen Manfred gepasst. Aber sonst passte alles.