Dogan Akhanli: Verfolgt, verhaftet und gefoltert
Der Schriftsteller beschreibt in seinem Buch „Verhaftung in Granada“ die politische Vergangenheit und Gegenwart in der Türkei — anhand persönlicher Erfahrungen.
Am Morgen des 19. August 2017 öffnet Dogan Akhanli nichtsahnend die Tür seines Hotelzimmers in Granada. Zunächst vermutet er nichts allzu Schlimmes, als er sich einer Gruppe Polizisten gegenübersieht. Doch die vermeintliche Routine-Kontrolle entpuppt sich wenig später als Verhaftung des Schriftstellers aufgrund eines türkischen Fahndungsaufrufs. Die Türkei warf ihm Beteiligung an einem Raubmord vor. Er selbst glaubt, dass politische Motive hinter der Festnahme steckten. Die spanische Regierung beschloss, Akhanli nicht auszuliefern, nach zwei Monaten durfte er wieder in Deutschland einreisen.
Heute, rund zehn Monate später, sitzt Akhanli vor seinem Publikum im Haus der Volkshochschule (VHS) am Von-der-Leyen-Platz in Krefeld und ist sichtlich erfreut über die vielen Zuhörer, die am Montagabend gekommen sind, um ihm zuzuhören. Nicht nur in Krefeld war man nach seiner Festnahme besorgt über Akhanlis Schicksal und eine mögliche Auslieferung an die Türkei. Ursprünglich hätte seine Lesung hier schon am 4. September vergangenen Jahres stattfinden sollen. Die Vorfälle in Granada vereitelten den Plan. Durch zahlreiche Proteste, das schnelle Eingreifen der deutschen Botschaft und einen lauten Aufschrei gegen den „langen Arm Erdogans“ kommt Akhanli einen Tag später frei, darf Spanien aber vorerst nicht verlassen, da er sich wöchentlich bei der Polizei melden muss.
Die geplante Lesung im VHS-Haus wird zu einer der ersten Solidaritätsveranstaltungen in Deutschland für den Schriftsteller, der gegen seinen Willen festgehalten wird. Das Ergebnis seines — wie er scherzhaft formuliert — „zweimonatigen Zwangsurlaubs“ im Gästezimmer des Goethe-Instituts in Madrid ist sein neues Buch. In „Verhaftung in Granada“ verarbeitet er die Erfahrungen von Verfolgung und Folter in der Türkei, die Festnahme in Granada und seine politische Biografie. Und so beginnt Akhanli zu lesen. Unterstützt wird er dabei von Helmut Wenderoth vom Kresch-Theater, der dem Schriftsteller bereits bei der Lesung im September ersatzweise seine Stimme lieh.
Akhanli: „Ich muss einen harmlosen Eindruck gemacht haben, denn man legte mir keine Handschellen an. […] Nach der Abnahme der Fingerabdrücke begriff ich, dass es richtig ernst war. […] Eine metallene Zellentür wurde geöffnet, es war soweit.“ Die Festnahme bringt Erinnerungen hoch. Schnell zieht Akhanli Parallelen zu früherer Verfolgung durch die türkische Justiz. Erstmals wurde er am 18. Mai 1975 in Istanbul verhaftet. Damals warf man ihm den Kauf einer linksgerichteten Zeitschrift vor. Die Erinnerungen sind so lebendig wie nie zuvor. „Ich habe noch immer nicht vergessen, wie groß meine Angst war.“ Eine illegale Zeitschrift zu kaufen und dann tagelang gefoltert zu werden, das sei zu viel für einen damals 18-Jährigen gewesen, sagt Akhanli heute.
In „Verhaftung in Granada“ beschreibt er die Haftbedingungen in der Türkei, nämlich „eine Finsternis, die einem den Boden unter den Füßen wegreißt und einem jede Orientierung nimmt“. Die Zeit in Untersuchungshaft im Jahr 1975 bewegte ihn dazu, sich politisch zu engagieren. Nach dem Militärputsch in der Türkei 1980 begibt er sich in den Untergrund. Wenige Jahre später wird er erneut verhaftet, zweieinhalb Jahre verbringt er als politischer Häftling im Militärgefängnis in Istanbul. Im Jahr 2010 reist er erneut in die Türkei ein, kurz nach dem Tod seines Bruders und seiner Mutter. Zu diesem Zeitpunkt ist der Autor einerseits krank vor Heimweh, will andererseits für seinen zu diesem Zeitpunkt todkranken Vater sorgen. Warnungen von Freunden will Akhanli nicht hören.
„Als Menschenrechtler ist man kein ängstlicher Mensch. Ich bin laut, ich agiere, ich verteidige die Rechte anderer“, sagt Akhanli. Prompt nach seiner Einreise erfolgt die erneute Verhaftung. Mehrere Monate verbringt er daraufhin in Untersuchungshaft, muss sich für die angebliche Beteiligung an einem Raubmord im Jahr 1989 verantworten.
2011 wird er dann in seiner Abwesenheit von einem Gericht in der Türkei freigesprochen, der Freispruch wird einige Zeit später allerdings wieder aufgehoben. Besonders tragisch: Akhanlis Vater stirbt während seiner Zeit in Haft. Von Verbitterung beim Sohn keine Spur. „Meine Politisierung verdanke ich der Gewalt, die zufällig und willkürlich zu mir gekommen ist.“
Der 61-Jährige setzt auf Versöhnung und Reflexion. Verzeihen kann er, vergessen jedoch nicht. Noch heute könne er die Gewalt nicht begreifen, die man ihm angetan hat. Dennoch: „Verhaftung in Granada“ ist keine Abrechnung, sondern eine abenteuerliche und teilweise auch humorvolle Erinnerung Akhanlis an seine Vergangenheit und eine mahnende Analyse der politischen Gegenwart in seiner Heimat, der Türkei.