Eine Sprache für den Schmerz
Robert Norths berührendes Ballett „Verlorene Kinder“ feiert Krefelder Premiere. Es handelt vom Flugzeugabsturz von Überlingen.
Krefeld. Der Schmerz muss unerträglich sein. Er wirft die Tänzer zu Boden, sie wälzen sich und kriechen, schlagen die Hände vor das Gesicht und schreien mit ausgestreckten Armen zum Himmel. Im Ballett „Verlorene Kinder“, das am Sonntag seine Krefelder Premiere feiert, wagt Choreograph Robert North das Unmögliche: Er bringt die Trauer auf die Bühne, die Eltern empfinden, wenn ihre Kinder sterben.
In der russischen Stadt Ufa erhielten im Juli 2002 viele Väter und Mütter die grässliche Nachricht: 49 Schulkinder aus Ufa waren bei einem Flugzeugabsturz über dem Bodensee ums Leben gekommen. In 10 000 Metern Höhe stießen damals gegen Mitternacht zwei Maschinen zusammen — es gab 71 Tote.
Diese Tragödie hat den Pianisten André Parfenov jahrelang nicht losgelassen. Er stammt aus Ufa und kennt den Vater eines Opfers persönlich. Für ihn ist die Sinfonie „Überlingen 23:26“ die „wichtigste Arbeit in meinem Leben“. 2011 hat er sie komponiert und North überzeugt, ein Ballett daraus zu entwickeln.
Statt die Geschichte linear zu erzählen, setzte North den Flugzeugabsturz an den Anfang und erzählt in Rückblenden weiter. Wie in einem Fotoalbum blättert er Erinnerungen an die Kindheit der Opfer auf, an glückliche Tage — und an ihr jähes Ende. Sein wichtigstes Anliegen war dabei der Respekt vor den Toten und Hinterbliebenen: „Sie sind uns wichtig“, sagte er im Juni 2012 in der WZ. „Für sie müssen wir die richtige Sprache finden.“
Aus heutiger Sicht scheint das gelungen. Die Uraufführung des Balletts fand Ende Juni 2012 in Moskau statt — vor den Augen vieler Eltern aus Ufa. „Manche sind nicht gekommen, weil sie glaubten, es nicht aushalten zu können“, sagt Robert North. „Aber die, die dort waren, sind uns sehr positiv begegnet.“
Das hat wohl auch damit zu tun, dass Parfenov und North nicht in Trauer und Wehmut erstarren. Sie schaffen auch unbeschwerte, fröhliche Szenen. „In der zeitgenössischen Musik fehlt oft der Rhythmus“, sagt Dirigent Andreas Fellner. „Hier ist das anders: André Parfenovs Sinfonie ist nicht verkopft, sondern körperlich und sinnlich.“ Der Komponist selbst begreift sein Stück als „klingendes Denkmal“.
Soiree und Probenbesuche am Mittwoch, 19 Uhr. Premiere am Sonntag, 20 Uhr. Nach der Pause wird die Revue „Bilder aus der Neuen Welt“ mit Musik von Aaron Copland gezeigt. Karten unter Telefon 805 125.