Grandiose Bruckner-Aufführung
Bravorufe für die Sinfonie Nr. 8 im Seidenweberhaus. Gastdirigent Jac van Steen glänzt.
Krefeld. Solch ein Vergleich bietet sich dem Liebhaber klassischer Musik auch nicht alle Tage. Für das Krefelder Publikum gab es innerhalb von vier Tagen die Gelegenheit, zwei verschiedene Variationen einer Bruckner-Sinfonie zu hören. Zunächst auf Burg Linn die Siebte in der Kammerversion mit dem Thomas Christian Ensemble und nun im Seidenweberhaus die Achte mit den Niederrheinischen Sinfonikern unter Jac van Steen.
Nach dem zweiten Konzert ist es deutlich: Eine Bruckner-Sinfonie mit zehn Musikern kann man eigentlich nur als Notlösung für schlechte Zeiten sehen.
Doch zum Glück haben wir solche im Krefelder Musikleben nicht. Die Niederrheinischen Sinfoniker mit dem großem Aufgebot von 74 Personen lieferten den überzeugenden Beweis: Ein großes Sinfonieorchester in Hochform, geführt von Jac van Steen, einem exzellenten Gastdirigenten — das sind die richtigen Rahmenbedingungen für Anton Bruckner (1824 - 1896).
Diese Sinfonie Nr. 8 in c-Moll, die man auch als seine „gewaltigste“ bezeichnet, stürzte den Komponisten in eine tiefe Lebenskrise. Nach dem Erfolg mit seiner Siebten waren die Ansprüche hoch gesteckt. Bruckner benötigte drei Jahre, um das neue Werk zu schreiben. Doch dann gab es für den Komponisten die Katastrophe. Hermann Levi, der Dirigent der triumphalen Uraufführung der 7. Sinfonie, äußerte sich: „ . . . habe nicht den Mut, sie aufzuführen . . . ich finde die Instrumentation unmöglich.“
Dieses vernichtende Urteil ließ Bruckner in eine schwere Depression fallen; trotzdem begann er mit einer Überarbeitung des Werks. 1890 war die Zweitfassung vollendet, 1892 erlebte sie ihre Uraufführung mit den Wiener Philharmonikern. Die Urfassung verschwand für lange Zeit in der Schublade. Erst 1973 erlebte sie unter Hans-Hubert Schönzeler in London ihre Erstaufführung.
Für seinen Konzertabend am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker hatte Jac van Steen diese ursprüngliche Form gewählt. Ein opulentes Klanggebilde voller Kontraste und Spannungen entstand in dem leider gerade einmal zur Hälfte gefüllten Saal. Doch ein nicht enden wollender Applaus, Bravorufe und Fußtrampeln auf der Bühne wie im Publikum brachten einen nicht minder vollen Klang zustande — einer monumentalen, eineinhalb Stunden dauernden Sinfonie würdig. Die Frage, wie viele Musiker man für die „richtige“ Aufführung einer Bruckner-Sinfonie braucht, stellte sich nicht mehr.