Livestream Ein Konzert als ideelle Wertschätzung

Krefeld · Der „Krefelder Jazzherbst“ endete mit einem Livestream aus der Kulturfabrik und erzwungenermaßen ohne Applaus.

Eine Aufnahme des live gestreamten Konzerts in der Krefelder Kulturfabrik.

Foto: wz/funke

„Vielen Dank fürs Zuhausebleiben“, sagt Bandleader Sebastian Gramss am Schluss, und das erzählt dann schon (fast) alles über die Rahmenbedingungen des Konzerts, mit dem der „Krefelder Jazzherbst“ des Jazzklubs Krefeld in der Kulturfabrik nun enden sollte. Während des sogenannten Teil-Lockdowns sind bis Ende November auch alle Konzerte verboten. Wer sich die allein schon wegen ihrer Größe ungewöhnliche Besetzung des Bandprojekts States of Play ansehen wollte, musste also zuhause bleiben, konnte aber das Konzert immerhin als Livestream über Youtube erleben.

„Quasi zehn Minuten nachdem Merkel gesprochen hat“, nämlich um den erneuten Lockdown wegen der Corona-Pandemie zu verkünden, habe ihn Christoph Kuntze vom Jazzklub angerufen und gesagt: „Wir machen doch was.“ Das erzählte Sebastian Gramss zu Beginn. Das sei ein „wichtiges Signal“ für die Musiker gewesen.

Der Auftritt in der Kulturfabrik war als Auftakt einer Tour geplant, die bis zum 14. November gedauert hätte. Alle Termine sind nun abgesagt, am 6. November soll es aber noch einen weiteren Livestream aus Düsseldorf geben.

States of Play war als Tentett konzipiert, die japanische Koto-Spielerin Miyama McQueen fiel jetzt aus nicht bekannten Gründen aus. Die Band trat in der Kulturfabrik immerhin noch mit neun Musikern an. Besetzungen dieser Größe brauchen meist eine ganze Reihe Auftritte, um sich zu finanzieren.

Ökonomisch bleibt das Projekt also erst einmal ein Debakel — für die Musiker, denen die Gagen abgesagter Gigs entgehen, aber auch für den Veranstalter Jazzklub, der mit seinem relativ spontan organisierten Livestream ja keine Einnahmen machen konnte.

Die Beziehung zwischen
Künstler und Publikum fehlt

Mehrere Wochen haben die Musiker geprobt, ohne den Livestream hätten sie das Produkt ihrer Mühen nie präsentieren können und wären wieder in alle Himmelsrichtungen auseinandergestoben, erklärt Rolf Sackers, beim Jazzklub für das Programm verantwortlich. Man muss diesen Livestream als ideelle Wertschätzung für die Musiker ansehen.

Aber: „Livestream ist nicht live“, hatte Sackers gegenüber der WZ auch schon vor dem Konzert ohne Zuschauer erklärt. Da muss man ihm leider zustimmen. Diesem Livestream fehlte vor allem die nicht zu unterschätzende atmosphärische Beziehung zwischen den Künstlern und ihrem Publikum, die immer auch das Geschehen beeinflusst.

Dennoch: Danke für diese andere Möglichkeit des Erlebens. Das Projekt von Gramss erwies sich als spannende Reise durch die Welt des zeitgenössischen Jazz, wenn sich dieser im Spannungsfeld von freier Musik und Jazztradition bewegt. Freie Sound wechselten sich immer wieder mit strukturierteren Passagen und arrangierten Elementen ab. Bei den vielfarbigen, atmosphärisch dichten und abwechslungsreichen Klangexkursionen schöpfte Komponist und Arrangeur Gramss gekonnt aus den Möglichkeiten, die sich durch eine große Besetzung ergeben.

Ein dreiköpfiger Bläsersatz mit Shannon Barnett (Posaune), Hayden Chisholm (Altsaxophon) und Valentin Garvie (Trompete, Kornett, Flügelhorn) trifft bei States of Play auf eine erweiterte Rhythmusgruppe: Philip Zoubek und Christian Lorenzen bedienen analoge und elektronische Tasteninstrumente, Nicola Hein spielt elektrische Gitarre. Der Perkussionist Etienne Nielsen erzeugt auf seinen zwei Snares viele Geräusche, Drummer Dominik Mahnig ist bei gebundenen Passagen für die Grooves zuständig. Gramss spielt Kontrabass und fungiert als Leiter.

Aus dem Film kennt man das Prinzip der Überblendung, akustische Überblendungen kennzeichneten viele Stücke. Ein Bassostinato, ein Arpeggio vom Klavier oder ein zunächst noch zurückhaltender Bläsersatz, in eine noch andauernde kollektiv improvisierte Klangerkundung hineingesetzt, markierten oft den Beginn von arrangierten Passagen. Da konnte man auch schon einmal eine geswingte Walking-Bass-Linie erleben, eine balladeske Akkordfolge, einen reggae-ähnlichen Groove vom Schlagzeug, ein bluesiges Riff vom Bläsersatz, ein lyrisches Solo vom Altsaxophon. Aus oft elegisch (klagend, traurig) dräuenden Klangwolken blinzelten immer wieder auch Lichtstrahlen hindurch.

Am Ende kein Applaus, von wem auch? Und am Anfang hatten die Musiker mit fünf Minuten Pause an die Protestaktion Alarmstufe Rot angeknüpft, mit der die Veranstaltungswirtschaft auf ihre durch die Pandemie ausgelösten Nöte aufmerksam macht. In diesem Fall dauerte die erzwungene Stille nicht allzu lange, das kann man sich nur insgesamt wünschen.