Orgelsommer Kraftvolles Konzert in St. Cyriakus
Krefeld · Orgel trifft auf Gesang in Hüls.
Orgel und Gesang, diese zwei unterschiedlichen Instrumente, haben doch eines gemeinsam: Ihnen wird zur Tonerzeugung Luft zugeführt. Bei der Orgel ist es ein mechanisches Gebläse, das die Luftzufuhr regelt, damit – vergleichbar einem Blasinstrument – ein Ton erzeugt werden kann. Da dieser Vorgang rein mechanisch abläuft, wirkt er zunächst einmal äußerst physikalisch. Um musikalische Vielfalt und Lebendigkeit in ein solches Instrument zu bringen, bedarf es zahlreicher Orgelpfeifen, um Instrumente wie Flöte, Dulcian oder Trompete kreieren und klanglich imitieren zu können, die dann als ein gesamtbauliches „Rohrwerk“ dem Organisten über seine Tastatur die Möglichkeit gibt, ein vielfältiges Klangspektrum zur Gestaltung von Musik nutzen zu können.
Ganz anders verhält es sich mit der menschlichen Gesangsstimme. Zwar wird auch sie durch Luftstrom aktiviert, im Gegensatz zur Orgel hat sie aber „nur“ ihre Stimmbänder. Das Besondere, was sie von dem „Blasinstrument“ Orgel unterscheidet, ist, dass sie mit lebendig und dynamisch gesteuertem Atem unterschiedliche Klangfarben und Tonhöhen erzeugen kann. Statisch-mechanische Luftzufuhr ist nicht erforderlich, der Sänger,die Sängerin haben den großen Vorteil, Musik direkt entfalten zu können. Körper, Geist und Seele sind ein Team, das Ausdruckswerte wie Freude, Trauer, Triumph oder Innerlichkeit direkt auf den Hörer überträgt, mit all ihren gestalterischen Diversitäten.
Das dritte Konzert zum 8. Krefelder Orgelsommer 2020 brachte in der Kirche St. Cyriakus in Hüls diese beiden Instrumente zusammen. Der Organist Guido Harzen und die Sopranistin Amélie Deppe gaben gemeinsam ein Konzert. Orgel trifft Gesang, und das auf musikalisch hohem Niveau. Eröffnet wurde der Musikabend mit Bachs „Fantasie G-Dur“ BWV 572 für Orgel Solo. Guido Harzen, 25 Jahre lang war er Organist an St. Josef in Neuss, seit zwei Jahren ist er in Siegburg als Organist und Dirigent tätig, demonstrierte die großartige Klangfülle der Orgel. Die kraftvollen Harmonien strömten organisch durch die etwas hallige Kirche, füllten den Raum und gipfelten in einem furiosen, triumphierenden Finale.
Die Mischung macht die Darbietung zu etwas Besonderem
Der musikalische Gegenentwurf folgte auf dem Fuß: Amélie Deppe, Gesangspädagogin und Konzertsängerin, ausgebildet an der Folkwang-Musikhochschule Essen, zelebrierte in Händels „Oh had I jubals lyre – Rejoice“ aus dem Oratorium „Josua“ einen hellen und klaren Sopran und beeindruckte mit stimmlich leichter und beweglicher Präsenz und bewegungsfreudigen Koloraturen. Ausdruckswerte, die eine Orgel in dieser Intensität nur andeuten kann. Die Mischung macht´s. Großartig , wie in Purcells „I attempt from love´s sickness“ die Orgel das Klanggerüst darstellte und der Sopran mit einer Klarheit sich dazugesellte, ihre Stimme durch die hallige Akustik trug und sich gegen die Orgel behauptete.
In Buxtehudes „Passacaglia in d“ für Orgel-Solo nutzte Harzen die unterschiedlichen Klangregister, leuchtende Flötenregister setzten sich von dunkleren Klängen ab, entwickelten sich ähnlich wie bei Bach zu einem jubilierenden Schlussakkord. Bach hat in jungen Jahren mehrere Monate bei Buxtehude studiert. Mit „Estampie (2007)“ von Franz Danksagmüller (geboren 1969) wurde eine musikalische Brücke geschlagen zwischen einem mittelalterlichen Tanzlied und freitonalen Klängen der Neuzeit. In Anlehnung an eine Tonfolge aus Buxtehudes Komposition entfaltete Harzen hier eine abwechslungsreiche Musik, quasi ein Intermezzo, geprägt von kontemplativen und improvistorischen Elementen, ehe es mit Dowlands „Flow my tears“, „Come away, come sweet love“ und „Come again, sweet love doth now invite“ zum Höhepunkt kam.
Mit welch einfühlsamer Stimme Amélie Deppe im ersten Lied sowohl traurige als auch tröstliche Stimmung wiedergab, getragen von einer klaren Stimme und ansatzloser Stimmführung, das war beeindruckend, das war wunderschön. Die „Sonate F-Dur“ für Orgel Solo von C.Ph.E. Bach, in frühklassisch geprägten Stil, gefiel durch klare Artikulation und transparente Spielweise. Finale des Abends war „Exultate, Jubilate“ von Mozart, eine Motette für Sopran und Orchester, die hier in der Bearbeitung für Orgel und Sopran zur Aufführung gelangte.
Man erlebte ein variantenreiches, spritziges Musizieren, mal verinnerlicht, mal opernhaft, mal triumphierend. Dennoch wirkte der Orgelpart im Verhältnis zum ursprünglich konzipierten Orchester etwa ungeschmeidig. Der strahlende Sopran am Ende versöhnte aber wieder und beflügelte das Publikum zu einem kräftigen, langanhaltenden Applaus, der mit einer Zugabe von John Rutter „The Lord bless you and keep you“ belohnt wurde.