Konzert Der Orgelsommer beginnt tiefgründig
Wuppertal · Bariton Thomas Laske und Organist Hans Küblbeck gestalteten den Auftakt in der Laurentiuskirche.
Unverdrossen laden auch unter Corona die Veranstalter des Wuppertaler Orgelsommers ein und die Zuhörer kommen trotz Pandemie. Am Sonntag musizierten in St. Laurentius Thomas Laske (Bariton) und Hans Küblbeck (Orgel) zusammen. Das ausgefeilte Programm konnte sich hören lassen.
Als Ouvertüre mit „Ernst und Lust“ erklang die Toccata Septima aus dem Apparatus Musico-Organisticus (1690), einer der größten Sammlungen für Orgel, von Georg Muffat (1653-1704). Sechs Jahre hatte der in Paris gelebt und in Rom (dort bei Corelli) studiert, bevor er als Organist und Kapellmeister des Bischoffs von Passau wirkte. Die festliche, französisch anmutende Ouvertüre, zwischendurch an freie Improvisationen erinnernd, beendet der Begründer deutscher Barockmusik zum Schluss mit komplizierter Quadrupelfuge.
Heinrich Schütz (1585-1672) litt auch ohne Covid-19 damals schon an „den freyen Künsten widrigen Zeiten“, kann aber mit dem Nachtgebet König Davids aus Psalm 4, vor allem wenn es von Thomas Laske innig und frei vor dem Altar gesungen wird, trösten. „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn allein Du Herr hilfst mir, dass ich sicher wohne“ bleibt nach der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges auch nach mehr als dreihundert Jahren dringender Wunsch zahlloser Flüchtlinge heute.
Laske vermittelt Klage,
Trauer und Hoffnung
Trost spendet Johann Sebastian Bach (1685-1750) mit seinen Choralbearbeitungen, in denen existenzielle Fragen musikalisch abgehandelt werden (BWV672-674). Polyphon meditiert die Orgel hier konzentriert über Tod und Jenseits, die ihren Schrecken verlieren, wenn mit „Ich habe genug“ ein „fröhliches Abscheiden aus dem Elend dieser Welt“ erwartet werden darf. „Schlummert ein ihr matten Augen“ ist nicht der fromme Wunsch eines gestressten, schlaflosen Zeitgenossen, sondern der intensive musikalische Diskurs über den Sinn des Lebens überhaupt, dem der vom seelenvollen Gesang Thomas Laskes ergriffene und vom musikalischen Funken getroffene Zuhörer gerne folgte.
Nach dem Wechsel von der Teschemacher-Orgel im Altarraum an die Seifert-Orgel hinten über der Eingangshalle gab es die zehn Biblischen Lieder von Antonin Dvorak (1841-1904), die er 1894 während seiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter des New Yorker Konservatoriums geschrieben hat. Naturlaute, Tremolo und Schweller, romantische Harmoniewechsel, liturgische Elemente weisen musikalisch nicht auf die neue Welt. Psychisch durch den Tod enger Freunde (Hans von Bülow und P. Tschaikowski) schwer beeinträchtigt, sucht Dvorak Trost und Zuflucht in Psalmentexten der Bibel. Merkwürdig, dass sich auch Mentor und Freund Johannes Brahms mit seinen vier ernsten Gesängen von 1896 dem Alten Testament zugewandt hat. Thomas Laske sang mit tiefem Ausdruck Klage, Trauer und Hoffnung aus, auch wenn Dvorak gefordert hatte, dass man diese Lieder beten müsse.
Beginnend mit dissonantem spätromantischem Aufschrei der Orgel, ging in makelloser, inniger Darbietung der Interpreten diese ernste Musik zu Herzen. Und bei den letzten beiden der zehn Lieder fiel das kräftig zur 18-Uhr-Messe rufende basilikale Glockengeläut ein. In dem erinnerungswürdigen Klangchaos gingen Einzelheiten des romantischen Orgelparts unter, während sich der Bariton durchaus behauptete.
Zum Schluss drang immer unter Verstärkung der Glocken des Heiligen Laurentius das Te Deum für große Orgel von Jean Langlais, dem blinden Pariser Organisten, durch die inzwischen offene Kirchentür auf den lebhaften Laurentiusplatz hinaus.
Dieser tiefgründige, sommerliche Orgelnachmittag ließ musikalisch wie künstlerisch keine Wünsche offen. Das unter Corona-Bedingungen zahlreiche Publikum bedankte sich mit starkem Applaus bei Thomas Laske und Hans Küblbeck. Nachdenklich und dankbar verließen die inzwischen wieder mit Masken angetanen Zuhörer die kühle St. Laurentiuskirche, die vor der Abendmesse wieder desinfiziert werden musste. Daher keine Zugabe. Was für Zeiten!