Neue Musik - Junge Theatermacher wagen ein Experiment
Der Bochumer Regisseur Christian Grammel bereitet fürs Theater das Projekt „Josefine“ vor. Die Proben beginnen Samstag.
Krefeld. Das Spannungsverhältnis von Individuum und Masse im digitalen Zeitalter: So könnte der Titel einer Abschlussarbeit im Bereich der Sozialwissenschaften lauten. Jedenfalls assoziert man damit nicht unbedingt einen spannenden Musiktheater-Abend. Zu sperrig und verkopft klingt das Thema — und trotzdem treibt es den Bochumer Regisseur Christian Grammel momentan um.
Für das Gemeinschaftstheater arbeitet der 30-Jährige nämlich an einer ungewöhnlichen Produktion, die nächste Spielzeit ihre Uraufführung in Mönchengladbach haben wird. Gefördert wird das Projekt „Josefine“ durch den Fonds Experimentelles Musiktheater NRW. „Es wird eine vollkommen freie literarische Adaption, eingebettet in eine neue Komposition“, sagt Generalintendant Michael Grosse.
Inspiriert haben Grammel zwei Texte von Franz Kafka: „Forschungen eines Hundes“ und „Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse“. In der ersten Geschichte begibt sich ein alter Hund auf die Suche nach dem Sinn des Hundelebens. Die zweite handelt von einer Mäuse-Diva, deren Konzerte bei den Artgenossen ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen.
„Einerseits spielt in beiden Texten die Musik eine besondere Rolle“, sagt Grammel. „Andererseits wird das Verhältnis des Subjekts zur Gesellschaft beleuchtet.“ Das sei in der heutigen Zeit ein besonders spannender Aspekt. „Das Internet erweckt den Anschein, als ob sich Individuen schnell zu Massenbewegungen zusammenschließen, die gemeinsam ein Ziel verfolgen“, erklärt der junge Thatermacher. „Aber ich bezweifle das.“
Erst kürzlich habe er die Proteste der Occupy-Bewegung in Frankfurt miterlebt. „Auch da sind viele Menschen, die sich einig sind, dass es so nicht weitergehen kann. Aber die einzelnen Demonstranten vertreten häufig ganz unterschiedliche Meinungen, die nur durch einen losen Rahmen zusammengehalten werden. Die Frage ist: Ist das schon eine Massenbewegung?“
Diese Überlegungen bilden den theoretischen Überbau zu „Josefine“. Allerdings geht die Inszenierung nur auf abstrakte Weise darauf ein, eine lineare Erzählform und klassische Bühnenkulissen darf der Zuschauer nicht erwarten.
Der erste Teil des Abends reflektiert Motive aus „Forschungen eines Hundes“ in einem Orchesterstück, einer Videoinstallation und einem Solo-Auftritt. Der zweite Teil lehnt sich an „Josefine, die Sängerin“ an. Dabei agieren unter anderem mehr als 60 Laiensänger auf der Bühne. Die Musik hat Sagardía komponiert, ein gebürtiger Paraguayer, der seit 1983 in Deutschland lebt.