Theater Schauspieler tanzen deutsche Geschichte

Im Stadttheater feierte am Wochenende das stumme Schauspiel „Das Ballhaus“ seine umjubelte Krefelder Premiere.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Dieses Ballhaus ist eine Kneipe, ein Lazarett und eine Techno-Disco, aber dann ist es auch wieder ein Ballhaus. Das Publikum blickte bei der Krefelder Premiere teils so gebannt auf die Bühne, dass man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können, dann wurde wieder gelacht und geschmunzelt.

„Das Ballhaus“ im Theater Krefeld ist ein Schauspiel ohne Worte, ein Bilderreigen deutscher Geschichte von etwa 1920 bis in unsere Tage, vom kompletten Schauspielensemble plus Gästen überwiegend großartig getanzt und gespielt.

„Das Ballhaus“ geht zurück auf das französische Stück „Le Bal“, das nach einer Idee von Jean-Claude Penchenat vom Théâtre Campagnol 1981 uraufgeführt wurde. Ettore Scola hat „Le Bal“ 1983 erfolgreich verfilmt. In Krefeld sieht man die deutsche Fassung von Steffen Mensching, der für die Inszenierung einen neuen Schluss hinzugefügt hat.

Über 20 Akteure tummeln sich auf der Bühne, inklusive einer dreiköpfigen Liveband unter der Leitung von Jochen Kilian. Johanna Maria Burkhart hat als Bühnenbild einen großzügigen Saal gebaut, mit vielstufiger Treppe, hohen Flügeltüren und gut bestückter Bar. Stilsicher hat Yvonne Forster die Moden des Jahrhunderts in zahlreichen Kostümen umgesetzt. Alle Akteure bis auf Paul Steinbach, der immer den Wirt gibt, spielen verschiedene Rollen. Da wird es hinter der Bühne beim Kleiderwechsel hektisch zugegangen sein.

Am Anfang werden Charleston und Foxtrott übers Parkett geschoben, dann begehrt die Jugend mit Rock’n’Roll gegen bürgerliche Spießigkeit auf. Kurz vor Schluss treibt Techno-Gewummer die Akteure in die Vereinzelung. Sehr gut einstudiert hat alle Tänze Choreograph Ralph Frey. Der Regie von Frank Matthus gelingt es, sowohl den großen Bogen durch die Jahrzehnte zu spannen, als auch individuelle Geschichten zu erzählen.

Angela Merkel, das Zitat vom Band beendet das Stück „Das Ballhaus“

Diese Geschichten handeln von Liebe und Verrat, Gewalt und Begehren, Scheitern und Triumph. Von den wilden 1920er Jahren landet man schnell in der Zeit des Nationalsozialismus, wo vor SA- und SS-Uniformen gekuscht wird. Fliegeralarm geht dem Ende großdeutschen Weltbeherrschungswahns voraus, dann stürmen amerikanische und russische Soldaten den Ballsaal.

Nicht nur Musik und Kostüme, auch O-Töne und Wochenschaufilme markieren die Jahrzehnte. Am Anfang sieht und hört man Reichspräsident Paul von Hindenburg, dann Adolf Hitler, später markiert das berühmte „Tor, Tor, Tor“-Geschrei zum deutschen WM-Gewinn von 1954 das wieder erstarkte Selbstbewusstsein.

Es wird in Hippiekostümen gegen den „Muff unter den Talaren“ rebelliert, der Terrorismus der 1970er Jahre wird ebenso ins Bild gerückt wie der Wiedervereinigungstaumel von 1989. Da drängt eine Schar von „Ossis“ ins Ballhaus, alle tragen in der Hand ein Deutschland-Fähnchen, in dem kreisrund das DDR-Wappen ausgeschnitten ist. Die neue Identität hat gewissermaßen noch ein Loch, das ist nur eines von vielen stimmigen Details.

Offen bleibt der Schluss — mit ganz aktueller Akzentuierung. Nachdem das Ensemble sich zu Techno-Gewummer verausgabt hat, gefriert es zu melancholischen Tangoklängen fast zu einem Gruppenstandbild. Und vom Band kommt drei Mal der Satz von Kanzlerin Angela Merkel, der das deutsche Gemüt derzeit so sehr spaltet: „Wir schaffen das.“

Das Ensemble, aus dem man keinen hervorheben möchte, und das Regieteam konnten sich am Ende zu Recht über Jubel und Applaus des Premierenpublikums freuen.