Move! Soavis Tanz durch die Evolution

Die 71-jährige Choreografie-Ikone Susanne Linke und Tänzer Emanuele Soavi nehmen das Publikum von "Aurea" auf eine Reise durch Epochen und zu sich selbst mit.

Move!: Soavis Tanz durch die Evolution
Foto: Joris-Jan Bos

Krefeld. Am Anfang war . . . der Igel? Eine kleine Ewigkeit dauert es, bis sich unter dem schwarzen Papierhaufen etwas regt und nach und nach ein Wesen zeigt. Schwarz gekleidet und bemalt, will es Mensch werden. In der Tat, wüst, leer und finster ist es auf der Erde, dem Ort, den Susanne Linke in Zusammenarbeit mit Emanuele Soavi als Ursprung des Lebens inszeniert hat.

Die 71-jährige Ikone des deutschen Tanztheaters bezieht sich in ihrem Solo „Aurea“ für den Italiener auf das Alte Testament. Die Zuschauer des Gastspiels beim Tanzfestival „Move!“ erlebten ein beeindruckendes Tanzstück, allerdings mit kleinen Längen, über Befreiung und Evolution.

Der Tänzer und Choreograf Soavi, in Köln beheimatet, wühlt sich elegant aus dem Papierwust. Wurm, Käfer, Schlange, Vogel — verschiedenste Metamorphosen deuten sich an. Unter der Wärme-Leuchtröhre greift die Kreatur immer wieder nach dem Licht. Sie richtet sich auf, stemmt sich hoch und steigt endlich wie Phönix aus der Asche, um sich auf den Weg zu machen: zu sich selbst, der Zivilisation und durch die Epochen.

Die große Choreografin hat mit ihrer ruhigen Hand Archaisches gestaltet. Der Pianist Thomas Wansing, der etwas versteckt an der Seite am Klavier sitzt, begleitet die Entwicklung einfühlsam mit einer Improvisation zu Johann Sebastian Bach. Erst perlen einzelne Töne, dann klingen Akkorde, irgendwann eine Komposition.

Mit klassischem Bewegungsmaterial, aber auch modernen Elementen ergreift der schwarze Mann immer mehr Besitz vom Raum. Je weiter er sich entwickelt, desto konventioneller wird sein Tanz. Man muss schon sehr konzentriert schauen, um wahrzunehmen, dass er sich durch geometrische Formen arbeitet. Der Abend trägt nicht umsonst den Titel „Aurea“. Er bezieht sich auf den „sectio aurea“, den goldenen Schnitt. Ein Idealmaß ästhetischer Proportionierung, nach der schon das Universalgenie Leonardo Da Vinci strebte.

Der schwarze Mensch, der Soavi nun ist, sammelt alles Papier auf und wirft es dem Pianisten vor die Füße. Vor einer Leuchtwand legt er einen elisabethanischen Kragen an und dreht sich in stolzen Posen — ein schönes Schattenspiel der Selbstbespiegelung. Eitelkeit, Stolz und Machttrieb sind erwacht. Er baut sich ein Quadrat aus Metronomen, die so eingestellt sind, dass sie einander zeitlich zu jagen scheinen. Darin dreht sich das Menschlein immer schneller und schneller und schneller. Es ist in unserer Zeit angekommen.