Theater-Uraufführung: „Ya Basta!“ - Das Leben außer Sichtweite
„Ya Basta!“ bricht mit Sehgewohnheiten — und rüttelt an unserem Weltbild.
Krefeld. Natürlich sind wir kritische Geister. Wir wissen um die Flurschäden der Globalisierung, beäugen den Kapitalismus mit Argusaugen und fühlen mit der Dritten Welt, die politisch korrekt längst nicht mehr so heißen darf. Zu Weihnachten spenden wir. Aus unserer sicheren Festung Europa blicken wir gütig in die Welt.
Ein Akademiker aus Deutschland, vermutlich heißt er Klaus, hat diesen sicheren Boden unter den Füßen verloren. In Jorge Angeles’ Stück „Ya Basta!“, das am Donnerstag in der Fabrik Heeder Uraufführung hatte, ist die Apokalypse schon Geschichte, das System ist zusammengebrochen.
An einem archaischen Ort, vielleicht einer Höhle, lesen ein Migrant und eine Mexikanerin dem Wohlstandsbürger die Leviten. Mit Gewalt zerren sie ihm quälend langsam, Wort für Wort, die schmerzhafte Erkenntnis aus dem Hirn: „Mein Glaube zerfällt. Ich fühle mich krank, und ich weiß nicht, warum.“ Medizin und Technologie, Wissenschaft und Fortschritt entpuppen sich als großer Irrtum, die westliche Zivilisation hat die Erde zerstört und die Menschen geschändet. „Wir haben uns solche Mühe gegeben“, lamentiert Klaus. Was dieser Satz in Arbeitszeugnissen bedeutet, ist hinlänglich bekannt.
Der Autor und Regisseur Jorge Angeles ist Mexikaner, er betreibt in Guadalajara ein Theater, das sich indigenen Traditionen verpflichtet fühlt. Krefelds Schauspieldirektor Matthias Gehrt hat ihn für die Reihe „Außereuropäisches Theater“ hierher geholt.
Sein Stück ist das erste wirkliche Experiment, das in der Reihe zu sehen ist. Es verzichtet weitgehend auf eine Handlung, die Charaktere sind bloße Platzhalter für politische Ideen.
Den Schauspielern Felix Banholzer, Helen Wendt und Cornelius Gebert zwingt Angeles ein extrem artifizielles Spiel auf. Sie sind die ganze Zeit in Bewegung, tanzen, springen oder wälzen sich auf dem Boden, verrenken sich, zucken, umkreisen einander. Die Worte werden selten einfach gesprochen, eher deklamiert, geflüstert, gezischt, geschrien, ausgespuckt, herausgewürgt.
Gerade diese Fremdartigkeit sorgt dafür, dass sich aus anfänglicher Irritation ein fesselnder Abend entwickelt. Dem Zuschauer ergeht es dabei wie Klaus: Er muss die gewohnten Kategorien beiseite schieben, seine Ansichten angreifbar machen. Es sind Leben außer Sichtweite, die Angeles in den Fokus rückt. Wer sich emotional darauf einlässt, steht für den Moment so unsicher in der Welt wie die Charaktere auf dem unebenen Steg, den Bühnenbildnerin Lydia Merkel quer durch die Höhle gebaut hat.
Auch die Schauspieler haben dort keinen festen Halt. Dass sie ihre Körpersprache für das Stück neu erfinden müssen, erfordert ungeheure Konzentration. Vor allem Gebert ist großartig in seiner Kompromisslosigkeit: Brachial, unter psychischen und physischen Schmerzen muss seine Figur erleben, wie ihr komplettes Weltbild zerfällt — das ja irgendwie auch unseres ist. Der pathetischen Läuterung am Ende hätte es da nicht bedurft. Die Botschaft war auch so angekommen.