Nach tödlicher Beißattacke durch Chico: Hundetrainer aus Krefeld fordern Umdenken
Nach der tödlichen Bissattacke durch einen Listenhund in Hannover warnen Krefelder Hundetrainer vor Schubladendenken — und fordern Gesetzesänderungen.
Krefeld. Blade liegt auf seiner Hundedecke neben dem Heizstrahler und sieht ziemlich müde aus. Wenn Simone Kühl aufsteht, rappelt sich auch der American-Staffordshire-Bullterrier-Mix auf und folgt seinem Frauchen auf die Freilaufwiese in Gellep-Stratum — so schnell es mit seinen 13 Jahren und nach mehreren Bandscheibenvorfällen eben geht. Gefährlich? So sieht der grau melierte Hundeopa überhaupt nicht aus. Dabei gehört Blade laut Landeshundegesetz NRW zu einer von 14 Rassen sogenannter Listenhunde — in Krefeld sind aktuell rund 260 gemeldet — die zuletzt durch die tödliche Beißattacke des Staffordshire-Terrier-Mischlings Chico in Hannover wieder in die Schlagzeilen rückten.
Simone Kühl, die eine Hundeschule in Düsseldorf betreibt und zum Training häufig die Wiese in Gellep-Stratum nutzt, verfolgt die Entwicklungen der vergangenen Wochen mit Skepsis: Auf der einen Seite Kampfhund-Gegner, die hinter jedem Pitbull- oder Bullterrier eine tödliche Gefahr vermuten — auf der anderen Seite selbst ernannte Tierschützer, die für den inzwischen eingeschläferten Chico eine Mahnwache abhalten, Kerzen anzünden für einen Hund, der zwei Menschen getötet hat. „Diese hochemotionalisierte Diskussion geht am Thema vorbei“, findet die Hundetrainerin. Kühl hält es für wichtig, Beißattacken wie diese nicht totzuschweigen, aber: „Es müsste viel allgemeiner über Gefahren gesprochen und das Problem nicht an einigen wenigen Rassen festgemacht werden.“
Das sagt auch Frank Rühl. Bevor er vor fünf Jahren die 12 000 Quadratmeter große Hundefreilauffläche an der Latumer Straße eröffnete, war er selbst jahrelang Hundetrainer. Nach dem Tod eines Jungen in Hamburg, der vor nunmehr 18 Jahren auf dem Schulhof von zwei Pitbulls zerfleischt wurde, sei „die Politik bundesweit unheimlich unter Druck geraten, etwas tun zu müssen“, sagt Rühl. Das Ergebnis seien zwei Listen mit 14 potenziell gefährlichen Hunderassen und deren Mischlingen, die heute als solche etwa im Landeshundegesetz NRW aufgeführt sind.
Die Kontrolle übernimmt die jeweilige Kommune. „Der Gesetzgeber hat sich davon leiten lassen, dass für gefährliches Verhalten von Hunden die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, aber auch die mangelnde Sachkunde und Eignung des Halters ursächlich sein können“, heißt es dazu von der Stadt.
Rühl widerspricht — teilweise: „Die Gefährlichkeit eines Hundes kann man nicht an seiner Rasse festmachen“, davon ist der ehemalige Hundetrainer aus Gellep-Stratum überzeugt. Er verweist auf eine Liste der Angriffe mit tödlichem Ausgang der vergangenen Jahre: Listenhunde wie der American Staffordshire Terrier und Pitbulls sind nach Recherchen des Autors Detlef Bieseke und des Hundegutachters Franz Breitsamer bundesweit für je drei von 58 Tötungen durch Hunde im Zeitraum von 1968 bis 2004 verantwortlich. Der Deutsche Schäferhund führt die Liste der tödlichen Attacken mit 26 Vorfällen an. Für sechs Tötungen in diesem Zeitraum ist die Deutsche Dogge verantwortlich; gelistet ist unter anderem auch ein tödlicher Beißunfall durch einen Dackel.
„In England und den USA sind die so genannten Liste 1 Hunde die Familienhunde schlechthin, weil sie eine so enge Bindung zu Menschen eingehen“, betont Rühl und: „Durch falsche Züchtung, Haltung und Erziehung kann jeder Hund gefährlich sein.“ Der ehemalige Hundetrainer fordert eine Anpassung des Gesetzes — und das schon hinsichtlich der Zuchtkriterien: „In Deutschland wird heute noch wie vor 50 Jahren gezüchtet. Rottweiler und Schäferhund als Wachhunde, Münsterländer und Deutsch Drahthaar als Jagdhunde. Diese Aufgaben erfüllen die Hunde aber nur noch selten, die Zuchtkriterien werden von niemandem offiziell kontrolliert.“ Gekauft werde heute ausschließlich nach Optik — das beobachtet Hundetrainerin Simone Kühl. „Viele Hundehalter sind dann mit einer Triebverantwortung konfrontiert, die sie nur selten kontrollieren können“, betont Frank Rühl. Er findet: „Es müsste eine praktische Prüfung für alle Hund-Halter-Teams geben.“
Aktuell gibt es so etwas nicht, wohl aber eine Erlaubnispflicht für die Haltung von Listenhunden, die derzeit von der Stadt unter bestimmten Voraussetzungen erteilt wird. Dafür müsse der Antrag stellende Halter „das 18. Lebensjahr vollendet haben, die erforderliche Sachkunde und Zuverlässigkeit besitzen, in der Lage sein, den Hund sicher an der Leine zu halten und zu führen, eine ausbruchsichere und verhaltensgerechte Unterbringung ermöglichen sowie den Abschluss einer besonderen Haftpflichtversicherung und die fälschungssichere Kennzeichnung des Hundes nachweisen“, heißt es von der Stadt.
Das reiche nicht, findet Hundetrainerin Simone Kühl: „Ein Sachkundenachweis ist ungefähr so, als könnte man mit der theoretischen Prüfung Autofahren.“ Ihren Job sieht sie deshalb vor allem darin, „Besitzern zu vermitteln, wie sie mit ihrem Hund ein sozialkompatibles Leben führen können. Ein Hund, von dem ich etwas will, der muss mir vertrauen.“ Dafür müssten Halter verstehen lernen, wie Hunde untereinander und wie sie mit Menschen kommunizieren. „Mit Sitz, Platz und bei Fuß ist das nicht getan.“