Oper Nabucco zeigt den Weg vom König zum Wahnsinn

Krefeld · Ein packendes Drama: Die Opernpremiere am Stadttheater überzeugt auch mit den herausgearbeiteten Parallelen zu Shakespeares „King Lear“.

Nabucco (Johannes Schwärsky, rechts) mit seiner Tochter Abigaille (Lydia Easley, links), die die Macht an sich reißen will.

Foto: Matthias Stutte

Die düstere Geschichte von einem größenwahnsinnigen König und seinen zwei verfeindeten Töchtern könnte aus einem Drama von Shakespeare stammen. Dass Guiseppe Verdi in seiner frühen Oper „Nabucco“ bereits an den von ihm verehrten englischen Dramatiker gedacht hat, ist nur zu vermuten. Aber bereits ein Jahr nach der Uraufführung 1842 taucht in Verdis Briefen ein Lear-Projekt auf. Verwirklicht hat er es nie, hat stattdessen später mit „Macbeth“, „Othello“ und „Falstaff“ drei andere Shakespeare-Stoffe kongenial vertont. In der Opernpremiere von „Nabucco“, die Regisseur Roman Hovenbitzer jetzt für das Krefelder Theater realisiert hat, bilden die durchaus vorhandenen Parallelen zwischen dem Stoff aus dem alten Babylon und dem englischen Königsdrama einen Leitfaden durch den Abend.

Vor jedem der vier Akte
wird „King Lear“ zitiert

So ist am Beginn von jedem der vier Akte aus dem Off die Stimme von Nabucco-Darsteller Johannes Schwärsky zu hören, der Verse aus „King Lear“ zitiert. Hovenbitzer legt den Fokus auf den Familienzwist und erzählt bereits während der Ouvertüre mit einer stummen Szene eine Vorgeschichte des Konflikts. Beim Begräbnis eines alten Würdenträgers entbrennt ein Streit um die Nachfolge, die Krone zerbricht und jede Hälfte wird von den jetzt verfeindeten Familien getrennt aufbewahrt.

Der Ort, im Original Jerusalem im 6. Jahrhundert vor Christus, ist behutsam in einen nicht näher zu definierenden hohen Raum verwandelt worden (Bühne: Roy Spahn). Ein riesiges Bücherregal mit alten Schriften, das Grab des Ahnen und ein an ein Taufbecken erinnerndes Gebilde deuten eine traditionelle sakrale Atmosphäre an. Hier lebt das Volk der Hebräer mit seinem Anführer Zaccaria (Hayk Deinyan). Er hält Fenena (Eva Maria Günschmann), die Tochter seines Feindes Nabucco, als Geisel. Fenena ist dem Hebräer Ismael (Kairschan Scholdybajew) verbunden, ihre Schwester Abigaille (Lydia Easley), die ebenfalls in Ismael verliebt ist, kommt als Vorhut ihres Vaters bewaffnet herein und triumphiert über ihre verhasste Schwester.

Die beiden Frauen sind bereits optisch sehr gegensätzlich gezeichnet: Fenena wirkt in ihrem mädchenhaften weißen Kleid noch immer kindlich, Abigaille hat mit kurzem Haar und männlicher Kleidung ein betont burschikoses Auftreten. Dass diese beiden Frauen keinen Draht zueinander haben, verwundert nicht. Erst im Verlauf des Abends gewinnt Abigaille etwas Sympathie. Als sie in den jetzt in einen kühlen Palast (in dem ständig die Börsenkurse flimmern und in Goldbuchstaben „Babel“ auf der Wand steht) verwandelten Räumlichkeiten ihre Macht genießen will, erinnert sie sich an ihre Kindheit. Sie schaut sich einen alten Videofilm an, in dem man sieht, wie Nabucco Fenena bereits als Kind bevorzugte.

Die persönlichen Konflikte münden oft in großen politischen. Diese Botschaft vermittelt die Regie auf anschauliche Weise. Nabucco siegt über seine Gegner, ein ganzes Volk gerät in Gefangenschaft. Er selbst wird Opfer seines Größenwahns, Abigaille nutzt dies eiskalt aus und reißt selbst die Macht an sich und will ihre Schwester in den Tod schicken. Im Original bezahlt sie das am Ende mit ihrem eigenen Tod, doch so negativ endet der Abend in Krefeld nicht. In einem Schlussbild, das wieder wie der Beginn hinter einem durchsichtigen Vorhang zu sehen ist, bahnt sich eine Versöhnung der verfeindeten Familien an. Damit weicht die Regie auch vom Shakespeare-Vorbild ab, zitiert aber mit dem Bild des Vaters, der seine tote Tochter im Arm hält, eine berühmte Szene.

Musikalisch und darstellerisch spielt sich in den zweieinhalb Stunden ein packendes Drama ab. Allen voran leistet der Chor Großartiges (Einstudierung Michael Preiser). Nicht nur der berühmte Gefangenenchor, der sehr schlicht und dadurch umso berührender vorgetragen wird, beeindruckt nachhaltig. Johannes Schwärsky ist als Nabucco eine Idealbesetzung. Er überzeugt als dominanter Herrscher und berührt zutiefst als verzweifelter Mann, der in den Wahnsinn zu fallen droht. Die Parallele zu Lear setzt er wunderbar um und lässt auch stimmlich keine Wünsche offen.

Ihm zur Seite ist ein mit Lydia Easley, Eva Maria Günschmann, Kairschan Scholdybajew und Hayk Deinyan gut aufgestelltes Ensemble zu erleben. Gute Akzente setzen auch Alexander Kalina (Oberpriester), Woongy Lee (Abdallo) und Panagiota Sofroniadou (Anna) vom Opernstudio Niederrhein. Stellenweise etwas zu laut, aber mit einem Gespür für den wunderbar melodiösen und zugleich von einer revolutionären Stimmung gekennzeichnetem Charakter der Musik, agieren die Niederrheinischen Sinfoniker unter ihrem Kapellmeister Diego Martin-Etxebarria. Entsprechend begeistert reagierte das Publikum mit viel Applaus und Bravorufen.