Interview Samtweberei: "Das Viertel steckt voller Talente"
Die ehemalige Samtweberei wird zum sozialen Motor für das ganze Südviertel.
Krefeld. Die Gebäude der ehemaligen Samtweberei Scheibler & Peltzer an der Ecke Tannen- und Lewerentzstraße standen lange Zeit leer. Man verband mit ihnen den Niedergang der Krefeld einst prägenden Samt- und Seidenindustrie, und obendrein schien die vermeintliche Schrottimmobilie kennzeichnend für die prekäre Lage der Südweststadt zu sein.
Seit Ende letzten Jahres aber darf sich die Samtweberei offiziell als „Ort des Fortschritts“ bezeichnen. Die Landesregierung NRW hat sie mit diesem Titel ausgezeichnet, und Bauminister Groschek hat die Samtweberei jetzt besucht, um die Auszeichnung zu bekräftigen.
Seit 2014 ist die gemeinnützige GmbH Urbane Nachbarschaft Samtweberei (UNS gGmbH) mit der Entwicklung der Immobilie beschäftigt. Für die WZ sprach Klaus M. Schmidt mit Frauke Burgdorff, Vorstand Montag-Stiftung, und Henry Beierlorzer über den Fortschritt im alten Gemäuer. Beide sind Geschäftsführer der UNS gGmbH.
Frau Burgdorff, wie kommt der Fortschritt in die Samtweberei?
Frauke Burgdorff: Natürlich durch das kleine „g“ vor unserer GmbH.
Durch die Gemeinnützigkeit?
Burgdorff: Ja. Wir entwickeln die Samtweberei im Auftrag der Montag-Stiftung Urbane Räume aus Bonn. Deren Anliegen ist es, Gemeinwohl und Chancengerechtigkeit in den Städten zu stärken.
Wie entwickelt man eine Immobilie gemeinnützig?
Henry Beierlorzer: Nach dem Abschluss des Umbaus 2017 gibt es hier nicht nur öffentliche Begegnungsräume, etwa im „Nachbarschaftswohnzimmer“ und unter dem Dach der Shedhalle. 37 Wohnungen und rund 1700 Quadratmeter Büro- und Gewerbefläche werden dann jährlich einen Überschuss von rund 60 000 Euro erwirtschaften. Diese werden in die Gemeinwesenarbeit für das Viertel fließen. Dazu ist das Objekt unabhängig von seinem Träger dauerhaft verpflichtet.
Wieso?
Beierlorzer: Erstens ist für unseren Finanzier, die Montag Stiftung, die Gemeinnützigkeit bindend, und zweitens überlässt die Stadt Krefeld der UNS gGmbH das Objekt im Rahmen eines Erbbaurechtsvertrags für die lange Laufzeit von 60 Jahren, ohne den Erbbauzins von 34 000 Euro per anno zu erheben — aber nur, solange die Samtweberei gemeinnützig bleibt.
Die soziale Seite des Projekts befindet sich jetzt in der Anschubphase. Wie sieht die aus?
Burgdorff: Wir sind nicht hierhergekommen und haben gleich angefangen zu bauen. Wir haben uns zunächst im Viertel vorgestellt. Es gab eine Auftaktveranstaltung im Südbahnhof, zu der etwa 120 Leute gekommen sind. Ein Projektaufruf wurde gestartet und ein Projektbudget von zunächst jährlich 5000 Euro aufgelegt.
Mit welchem Erfolg?
Beierlorzer: Viele Menschen und Einrichtungen sind von Anfang an dabei. Mittlerweile hat eine Stadtteiljury an die 40 Ideen ausgewählt. Das reicht vom Pflanzworkshop für Beete am Straßenrand bis zum Café International von und für Frauen aus dem Viertel.
Die Menschen nehmen Ihre Impulse auf.
Burgdorff: Sie fühlen sich offenbar angezogen. Bis zu 40 Leute treffen sich bei einem Stammtisch jeden ersten Donnerstag im Monat in den Räumen der von uns mit der Bürgerinitiative rund um Sankt Josef gemeinsam angemieteten „Ecke“ an der Kreuzung Tannenstraße, Südstraße, um über Angelegenheiten des Viertels zu reden.
Das hätte man bei der schwachen Sozialstruktur im Viertel nicht unbedingt erwarten müssen?
Burgdorff: Ich habe von Beginn an das Gefühl gehabt: Hier geht etwas. Gerade wegen der Rauheit des Viertels. Die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit der Bewohner ist entsprechend hoch. Beierlorzer: Es kommen immer wieder neue Leute auf uns zu. Das erstaunt uns inzwischen nicht mehr. Das Viertel steckt offenbar voller bisher verborgener Talente.
Die Samtweberei ist für die Montag-Stiftung ein Pilotprojekt. Wird es vergleichbare Projekte in anderen Städten geben?
Burgdorff: Obwohl wir hier ja noch gar nicht fertig sind, steht der Standort für das nächste Projekt schon fest. Es wird Halle an der Saale sein.