Serie Stolpersteine Erinnerung an die Hilferufe des Onkels

Durch die WZ-Serie "Stolpersteine" wird Rolf-Dieter Reuter auf seine Familiengeschichte gestoßen. Das Schicksal des Verwandten war tabu.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Rolf-Dieter Reuter ist zwölf Jahre alt, als im Juni 1943 der Feuersturm der alliierten Bomber halb Krefeld in Schutt und Asche legt und mehr als 1000 Menschen ihr Leben verlieren.

Als in der Annakirche 2013 dieser Menschen in einem Gottesdienst gedacht wird, singt Reuters Frau Marlies (77) im Kirchenchor. Ein WZ-Artikel zum Stolperstein für Karl Henning an der Oberbruchstraße konfrontiert das Ehepaar erneut mit der Zeit des Kriegs und der Nazi-Herrschaft. Karl Henning, der im Konzentrationslager Buchenwald am 27. Januar 1938 im Alter von nur 29 Jahren ermordet wurde, war ein Onkel von Rolf-Dieter Reuter.

„Allerdings“, so erzählt der heute 83-Jährige, habe er seinen Onkel „nur dem Namen nach gekannt“. Karls Schwester Franziska Henning (geboren 1908), die später Joseph Reuter heiratete, ist die Mutter von Rolf-Dieter Reuter.

An ein Erlebnis aber erinnert sich der rüstige Rentner noch lebhaft. „Aus dem Keller der früheren Husarenkaserne an der Girmesgath, in dem Karl inhaftiert war, hörten wir ihn laut nach seiner Schwester rufen. Franziska, Franziska.“ Die Gewölbe dienten Gestapo und SS als Folterkeller, wie verschiedene Zeitzeugen berichten.

In Haft kam Karl Henning wegen seiner Zugehörigkeit zu den Bibelforschern (später Zeugen Jehovas). Diese Gruppe, in Krefeld zählte sie etwa 20 Köpfe, wurde bereits kurz nach der Machtübernahme der Nazis 1933 verboten. Anlass dafür waren unter anderem die Verweigerung des Hitlergrußes sowie die Wahl- und Wehrdienstverweigerung. Eine Aufstellung von Ingrid Schupetta, Leiterin der städtischen NS-Dokumentationsstelle, weist nach, dass gegen 16 von ihnen Gefängnis- und Schutzhaftstrafen verhängt wurden. Sechs wurden in Konzentrationslager verschleppt. Das waren Karl und Auguste Wolf, Johanna Windolph, Hubert Holtmann, Wilhelm Rütten und Karl Henning.

Wie in vielen anderen Familien waren auch in der Verwandtschaft der Reuters Karl Hennings KZ-Tod und seine Glaubensrichtung ein Tabu-Thema. „Darüber wurde nicht geredet, das war ein dunkler Fleck in unserer Geschichte“, sagt Rolf-Dieter Reuter. Seine Frau Marlies nickt zur Bestätigung. „Deshalb sind die Stolpersteine ja so wichtig. Damit Geschichte lebendig bleibt und die schrecklichen Dinge nicht vergessen werden.“

Bei Kriegsende 1945 ist Rolf-Dieter Reuter 14 Jahre alt. Mit Stahlhelm und Panzerfaust soll er im „Volkssturm“ die Stadt Krefeld gegen die Amerikaner verteidigen. Für ein Terrorregime, das auch seinen Patenonkel Wilhelm Griwenta an die Wand gestellt und erschossen hat. Für ihn wünscht sich Rolf-Dieter Reuter auch einen Stolperstein. Der müsste auf der ehemaligen Hindenburgstraße in Wesel verlegt werden.