Die versteckten Geschichten des Kliedbruchs
Der Bürgerverein hat Anekdoten und Historisches zusammengetragen, das Ergebnis ist auf Texttafeln nachzulesen.
Krefeld. Ein schwimmender Zirkus, ein Galgen und eine verschiebbare Kirche — das Kliedbruch hat mehr Geschichten zu bieten, als ein Spaziergänger auf den ersten Blick sehen kann. Das hat der Bürgerverein Kliedbruch geändert. An 18 Standorten im Stadtteil wurden und werden in den nächsten Wochen Texttafeln aufgestellt, auf denen eine Geschichte des Bruchs nachzulesen ist. „Es gibt hier in diesem Gebiet viele ungewöhnliche Gebäude und auch viele Geschichten dazu. Durch die Tafeln machen wir diese zugänglich“, erklärt Peter Gerlitz, der Vorsitzende des Bürgervereins. „Das war viel Arbeit, das alles zu recherchieren“, fügt er hinzu. Die Geschichten nehmen mit in die Vergangenheit des Bruchs. Die WZ gibt einen kleinen Einblick in diese Anekdoten. Wo die Texttafeln stehen, siehe Karte.
An der Moerser Straße 437 eröffnete in den 1870er Jahren das Brauhaus „Schwarzes Pferd“. Das war ein Nebenerwerb der Familie Schneider. Im Haus wurde eigentlich an drei Webstühlen gearbeitet. Die Lage war ideal, direkt auf einer Wiese, an der Straße nach Moers. Es machten viele Fuhrwerke mit Ross und Reiter dort Halt. Der Sage nach waren ein schwarzes Pferd und sein Fuhrmann beständige Gäste. Später hielt an der Gaststätte die Straßenbahn. Wer die letzte Bahn nicht verpassen wollte, stellte ein Bier auf die Schienen und lud damit den Schaffner ein, der im Gegenzug in den Gastraum kam, um die letzte Fahrt auszurufen.
Es gab eine Zeit, da stand am Hökendyk ein schwimmender Zirkus. Das kam so: 1877 wurde im Duisburger Hafen „Lent’s Swimming American Circus“ versteigert. Gebaut wurde es von dem Deutsch-Amerikaner Theodore Lent. Es sah aus wie eines der Showboote, die zu der Zeit auf dem Mississipi verkehrten. Nach sechs Jahren wurden die Besucher weniger und er musste verkauft werden. Jakob Kühnen kaufte den Zirkus und baute ihn am Hökendyk im Kliedbruch auf. Er fasste Ernte von 350 Morgen Land, Kutschen und das Wohnhaus der Familie. Der Kühnenzirkus wurde im Zweiten Weltkrieg von Bomben getroffen und brannte aus. Der Architekt Friedrich Kühnen und seine Frau starben dabei.
Besonders skurril an der Geschichte ist, wie Lent diesen Zirkus finanziert hat. Er soll dafür seine Frau ausgestellt haben, die er 1854 in Mexiko gekauft hat. Julia Pastrana litt an Hypertrichose, hatte einen kantigen Kiefer, große Ohren und schwarze Haare, die Gesicht und Kiefer bedeckten. Lent stellte seine 1,37 Meter große Frau als Bindeglied zwischen Affen und Menschen aus. Julia Pastrana wurde auch als einbalsamierte Leiche noch ausgestellt, erst 2013 konnte sie in ihrer Heimat Mexiko bestattet werden.
Die Zeltkirche St. Hubertus sieht nicht nur außergewöhnlich aus, sie hat auch eine besondere Eigenschaft: Die Stahlkonstruktion kann abgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. In den 1950er Jahre wollten die Bürger gern eine Kirche bauen. Für das dafür vorgesehene Grundstück hat die Stadt allerdings andere Pläne. Durch das Grundstück am Hohen Dyk sollte eine Nordumgehung führen. Deshalb gab es für die Kirche nur eine vorläufige Baugenehmigung mit der Auflage, dass sie wieder abgebaut werden muss, sobald der Straßenbau beginnt. Das sollte nach zehn bis 15 Jahren passieren — ist es aber nicht. Entstanden ist eine Kirche für 150 000 Mark, die heute ein Denkmal ist. Gemeindemitglied Hubert Spierling schuf das umlaufende Fensterband.
Die von Friedrich Kühnen 1935 erbaute „Villa Johanna“ an der Kliedbruchstraße 77 war nicht nur Wohnhaus der Familie Küppers, sondern auch Wäscherei. Eine der angebotenen Dienste war die Rasenbleiche. Dafür wurden chemische Prozesse genutzt, die entstehen, wenn feuchte Wäsche auf Sonne und Rasen trifft. Das war eine Arbeit, bei der es vor allem auf die Details ankam. Der Rasen durfte nicht zu lang und nicht zu kurz sein. Zwischen dem Mähen und der Bleiche mussten einige Tage liegen, damit keine Rasenflecken entstehen konnten. Die Wäsche durfte während der Bleiche nicht trocknen und musste mit Gießkannen feucht gehalten werden und das Ganze funktionierte auch nur bei hellem Sonnenschein.
Das Gelände, das heute in Stadtwaldnähe als eines der schönsten Wohngebiete in Krefeld gilt, war im 13. Jahrhundert äußerst unattraktiv: sumpfig und dicht bewaldet. Dort lebten Wildpferde, Wildschweine, Wölfe, Räuber und politisch Verfolgte. Letztere waren wohl eher auf der Suche nach Beute oder einem guten Versteck, als nach einem naturnahen Wohnort. Im Kliedbruch der Vergangenheit befand sich auch ein Galgen. Erst als Krefeld zwischen 1798 und 1813 französisch war und die Stadt zu einem wirtschaftlichen Zentrum wurde, wurden die Gräben zur Entwässerung des Bruchs angelegt. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich das Gebiet dann zur beliebten Wohnlage, weil der Zeitgeist in Richtung „zurück zur Natur“ ging.