Statt Rockmusik gibt’s Rinder
Einst war die Niederrheinhalle ein Tummelplatz für Rockbands — heute werden nur noch Bullen, Kühe und Kälber versteigert.
Kempener Feld. „Und tausend, und tausend, und tausend, und fünfzig“ — der Auktionator hat in der Niederrheinhalle seine Kundschaft fest im Blick. Unten, in der Manege sozusagen, führen die Landwirte ihre Bullen, Kühe und Kälber vor. Auf den Rängen haben die Käufer Platz genommen. „Da drüben sitzen die Viersener, da die Klever, da die Heinsberger. Hier ist es wie in der Kirche, jeder hat seinen festen Platz“, meint RUW-Regionalleiter Werner Ziegler.
Das war in den 70er-Jahren anders, als die Rheinlandhalle für Krefeld und Umgebung ein Mekka für Rockmusik war. Der richtige Fan sondierte erst einmal von der Empore die von Zigarettenrauch vernebelte Lage und hockte sich dann auf den Boden vor die Bühne, da, wo man den besten Blick auf Drums, Keyboard und Gitarren hatte und es besonders laut war — und heute die Kühe während der Aktion auf Sägemehl ihre Haufen machen.
Bewaffnet war der Rockfreund mit Bier oder Rotwein in einer Korbflasche, die anschließend in der heimischen Bude als Kerzenständer verwendet wurde. Birth Control, in deren Urformation Tutti-Frutti-Moderator Hugo Egon Balder trommelte, war eine der Gruppen, für die man in die Niederrheinhalle pilgerte. Die spielten hier am 25. November 1972 zusammen mit Atomic Rooster beim „Rock Meeting“. Geschichten, an die man sich erinnert, wenn man die Halle sieht, die sich kaum verändert hat.
Diese Zeiten sind lange vorbei. Auch Box-Kämpfe (Peter Müller, de Aap, war hier) gehören schon lange der Vergangenheit an, Europas größte Ferkelauktion ist ebenfalls Geschichte. Der heutige Besitzer, die Rinder—Union West (RUW), veranstaltet in der Rheinlandhalle hinter dem König-Palast einmal im Monat eine Zuchtviehauktion. Rund 170 bis 180 Tiere sind es diesmal, die an den Mann gebracht werden sollen.
Nicht immer sind die Züchter einverstanden mit dem Preis, den der Auktionator erzielt hat. Dann reicht ein Blick zwischen den beiden. Der Züchter zeigt mit zwei Fingern an, dass er noch nicht verkaufen will, dass ihm noch 200 Euro fehlen. Der Hammer saust nicht runter, das Tier wird wieder zu den Stallungen geführt und später noch einmal vorgeführt. Vielleicht ist dann ein Käufer bereit, so hoch zu bieten, dass der Züchter zufrieden ist.
Zufrieden ist der Züchter des Bullen „Galaxis“, als der Hammer bei 2500 Euro fällt. „Der ist gerade mal ein Jahr alt“, meint Ziegler und geht davon aus, „dass der heute der teuerste Bulle sein wird. An dem war auch mehr als nur ein Käufer interessiert.“
Jedes Tier wird von den Experten der RUW vor der Auktion bewertet: „Wir hatten heute einen Bullen mit kaputten Beinen. Den haben wir nach Hause geschickt.“ Gerade die Beine seien sehr wichtig, meint Ziegler: „Wenn der Bulle eine Kuh besteigt, müssen die Gelenke das Gewicht tragen können.“ Zwar haben die Teilnehmer der Auktion einen Katalog mit den Bewertungskriterien, aber der Käufer will auch sehen, wofür er sein Geld ausgibt: „Das Exterieur ist sehr wichtig“, so Ziegler.
„Mal hat man Glück, mal hat man Pech“, sagt der Regionalleiter und meint damit den erzielten Preis. Ob ein Bulle dann auch wirklich decken will und die Kuh trächtig wird, kann keiner mit Sicherheit sagen. Doch auch dafür gibt es eine Versicherung, die Teil des Kaufpakets ist: Hat es nach sechs Wochen noch nicht geklappt, ist der Bulle „reklamationsfähig“.
Bei den Kühen geht der Blick der Käufer vor allem auf den Euter. Wenn die Kuh hereingeführt wird, hält der Züchter einen Zettel mit der Milchleistung hoch. „36“ heißt, die Kuh gibt morgens 18 und abends 18 Liter. Zum letzten Mal gemolken werden die Tiere zwölf Stunden vor der Auktion. Dann ist der Euter richtig prall, wenn das Tier vorgeführt wird. „Gleich nach dem Verkauf werden sie dann gemolken“, beruhigt Ziegler.
Während die meisten Rinder von den Züchtern oder Angestellten der RUW geführt werden, marschiert Nr. 45, die Anna, alleine über den gelben Teppich aus Sägespänen. Mit einem lauten Muh quittiert sie die Bemühungen des Auktionators, der den Preis auf 1400 Euro getrieben hat. Anna dankt’s mit einem frischen Fladen. Der pralle Euter und die 39 Liter, die Billi bietet, bringen glatt noch 100 Euro mehr. Bei 1500 Euro fällt der Hammer. Den Vogel schießt — vorläufig — Holly ab, die ihrem Züchter immerhin 1650 Euro einbringt: „Das ist heute viel Geld“, kommentiert Werner Ziegler den Preis.
Normalerweise brauchen sie bei einer Auktion eine Minute pro Tier, aber heute dauert alles länger. „Bis die ersten Käufer bieten, ist ja schon fast eine Minute vorbei“, sagt der Regionalleiter. Es sei halt eine schwierige Zeit: „Die Milchpreise sind auf einem niedrigen Niveau, die Kosten weiterhin hoch.“