Unterwegs mit Nicole Specker (SPD): Ex-Prinzessin mit Faible für Politik

Nicole Specker ist Karnevalistin und Vollblut-Gewerkschafterin, für die SPD will sie in den Bundestag. Der WZ verrät sie auch, warum ihr Spitzname Danger-Mouse ist.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. „Mitten im Leben“. Dass ihr Wahlkampf-Motto auch Titel einer längst abgesetzten Pseudo-Doku im Trash-TV ist, lacht Nicole Specker schallend weg. Immerhin: Auch für den Spaziergang mit der WZ ist das Motto der SPD-Bundestagskandidatin für Krefeld und den Rheinkreis Neuss Programm. Ihren Dienstwagen, ein BMW Elektroauto, hat Specker vor St. Matthias geparkt, mitten in ihrem Leben. Ihre Mutter ist hier in Hohenbudberg aufgewachsen, Speckers Sohn wurde in Krefelds ältester Kirche getauft. Ihr Arbeitsplatz, ein rotbraunes Backsteinhaus, in dem die 47-jährige Uerdingerin als kaufmännische Angestellte im Betriebsratsbüro der Covestro arbeitet, liegt keine 500 Meter entfernt. Dahinter der Rhein. „Hier laufe ich normalerweise meine Mittagspausenrunde“, sagt sie, „was ich an diesem Ort so liebe: Der Rhein sieht jeden Tag anders aus.“

Foto: Andreas Bischof

Momentan ist nichts wie sonst, es herrscht Ausnahmezustand, seit Wochen ist Nicole Specker vom Dienst freigestellt: Die Schützen im Festzelt grüßen, eben schnell zur Eröffnung von Amazon im Rheinhafen, zwischendurch im Nähstübchen aus dem Nähkästchen plaudern, Haustür-Wahlkampf, mit Schülern über ihre Schwerpunktthemen Bildung, Rente und Arbeit diskutieren — kurz vor der Wahl sind Speckers Tage vollgepackt. Auch der Spaziergang mit der WZ ist so ein Termin. Schnell schiebt sie die Zigarettenschachtel wieder in die Tasche — „die letzten Wochen waren stressig“ — und zaubert stattdessen eine Flasche Moskitospray heraus. „Das hilft gegen Kriebelmücken. Ganz fiese Biester, die lauern hier überall im Gras.“

Es kann losgehen, Specker steuert auf den Rheindeich zu. Den Stress der vergangenen Wochen merkt man ihr nicht weiter an, die 47-Jährige lacht viel und laut, und sie erzählt. Von Sport als Ausgleich und ihrer Zeit als Volleyball-Spielerin, als alle die kleine Nicole nur Danger-Mouse nannten, „weil ich jeden Ball genommen habe“. Selbstbewusstsein schadet nicht. Von Entschleunigung — die träge am Deich weidenden Schafe unterstreichen das Stimmungsbild. „Generell versuche ich, mehr im Hier und Jetzt zu leben“, auch wenn das in der heißen Phase des Wahlkampfs nicht immer funktioniere, gesteht Specker. „Gestern Abend bin ich vor Erschöpfung im Sitzen auf dem Sofa eingeschlafen — und heute morgen um sieben genauso wieder dort aufgewacht.“

Und sie erzählt von ihrem Sohn Leon, dessen schwerer Start ins Leben sie, die „eigentlich nicht viel mit der katholischen Kirche anfangen kann“, vor 18 Jahren zu dem Versprechen bewog, doch wieder beizutreten. Angelehnt an die Friedhofsmauer von St. Matthias sagt sie das, während sie mit einem Feuerzeug eine Rhabarber-Schorle, „bio, natürlich“, öffnet. Prost — auf Leon, der vor kurzem volljährig geworden ist. „Das war schon ein sentimentaler Moment. Als ich ihn an seinem Geburtstag um kurz nach Zwölf im Türrahmen stehen sah, da dachte ich: ,Mein Gott, ist der groß.’“ Zum ersten Mal darf der erwachsene Sohn jetzt bei einer Bundestagswahl wählen, „SPD natürlich“, sagt Specker, „sonst habe ich ’was falsch gemacht“.

Sie selbst habe ihr erstes bewusstes politisches Erlebnis mit zwölf Jahren gehabt. Damals habe sie ihr Vater vor den Fernseher gesetzt und gesagt: „Schau dir das an, das schreibt Geschichte.“ Was sie da sah, war ein Kanzler Helmut Schmidt, dessen „Kampf an der Kanzel gegen das Misstrauensvotum“ die zwölfjährige Nicole Specker „unheimlich beeindruckte“. Seit nunmehr 25 Jahren ist sie SPD-Mitglied, startete laut Parteichef Ralph-Harry Klaer „politisch unbelastet“, aber nicht ganz unbekannt in den Wahlkampf: Als Ex-Karnevalsprinzessin war Nicole Speckers Gesicht zumindest in Uerdingen bereits vor den Wahlkampfplakaten bekannt.

Tatsächlich reichen die politischen Wurzeln der 47-Jährigen bis in ihre Kindheit: Specker wächst in einem „klassischen Arbeiterhaushalt“ im Inrath auf. Im Kinderkarneval ist sie der Robin Hood, in der Schule die Klassensprecherin, kurz nach der Ausbildung dann Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei Bayer in Uerdingen, später Gewerkschaftssekretärin in Halle an der Saale, in Ludwigshafen und Mainz, heute ehrenamtliche Richterin am Sozialgericht — dass Nicole Speckers Weg irgendwann nach Berlin führen könnte, war wohl nur eine Frage der Zeit. „Ich hab’ mich schon immer gerne für andere eingesetzt“, sagt sie und ist bei der Platzierung ihrer Themen immer auch Anwältin in eigener Sache. Was sie mit nach Berlin nehmen will? „Frauen kommen im Job von Teilzeit nur ganz schwer wieder in Vollbeschäftigung, das erlebe ich in meinem Freundeskreis. Und das ärgert mich.“

Von ihrem Besuch in der Hauptstadt im vergangenen Jahr, als die Kanzlerin die damalige Uerdinger Karnevalsprinzessin und ihre Minister im Bundestag empfing, habe sie ohnehin „noch einen Koffer in Berlin“. Karneval hin oder her: Ganz unpolitisch konnte Nicole Specker auch damals nicht und setzte sich in ihrer Session gegen Rassismus ein.

Ihre Chancen für den 24. September sieht sie vor allem realistisch: „Wenn man sich die Ergebnisse der vergangenen Jahre anschaut, dann wird es in meinem Wahlkreis schon schwierig.“ Aber deshalb den Optimismus verlieren? „Während meiner Zeit als Gewerkschaftssekretärin habe ich im Wahlkreis von Helmut Kohl gelebt und ihn mit abgewählt — alles ist möglich.“ Das Kandidaten-Video gibt’s unter: wz.de/specker