Erkrath Strasser: „Mein Tagesablauf ist gerade absurd produktiv“

Interview Autor Tilmann Strasser arbeitet als Regionsschreiber und lässt sich derzeit vom Wohnort im Neandertal inspirieren.

Tilmann Strasser lebt derzeit im Neandertal.

Foto: Marco Piecuch

Wie gefällt es Ihnen in Ihrem Quartier im Tal?

Tilmann Strasser: Mein Quartier ist famos – allein die Adresse könnte mit „Neandertal 1“ kaum stimmiger sein, das schöne und alte Haus tut sein Übriges, und herzlich aufgenommen fühle ich mich sowieso. Alles wunderbar also, wäre da nicht die Notwendigkeit von „social distancing“ und somit natürlich eine gerade seltsam verschattete Kommunikation. Doch wir wursteln uns durch und sind solidarisch bis zur letzten Klopapierrolle im Tal!

Was haben Sie schon von der Region gesehen?

Strasser: Vor der Pandemie habe ich noch Hochdahl, Mettmann, Erkrath, Wülfrath und Langenberg und den Räumen dazwischen Besuche abstatten können, alle weiteren Pläne fielen dann leider schon Ausgangsbeschränkungen zum Opfer.

Wie sieht derzeit Ihr ­Tagesablauf aus?

Strasser: Immerhin Ausflüge in die umliegende und meist nur sporadisch besiedelte Bergische Natur sind noch drin, das nutze ich weidlich. Ansonsten ist der Tagesablauf gerade ein absurd produktiver: Morgens wird geschrieben, dann werden Mails beantwortet, dann wird wieder geschrieben, dann wird recherchiert (fragen Sie mich nicht, warum das nach dem Schreiben kommt, es wäre womöglich besser davor aufgehoben), dann werden Punkte einer trotzdem ständig wachsenden to do-Liste abgearbeitet.

Wie hat Corona Ihre Schreibpläne verändert? Was macht/thematisiert der Über-die-Leute-Schreiber, der nicht unter die Leute ­gehen kann?

Strasser: Corona hat das komplette Projektkonzept meines Aufenthaltes im Bergischen Land gekippt. Das sah nämlich vor, mit möglichst vielen Menschen zu sprechen, sie zu beobachten und ihre Geschichten abzulauschen, ein Gefühl für ihre Mentalität und sprachliche Eigenheiten zu bekommen und daraus literarische Porträts zu basteln, die sowohl Einzelpersonen wie auch Teile der Region spiegeln sollten. Das klappt nur leider alles nicht gut, wenn man nicht mit Leuten reden kann. Zumindest sind leere Straßen und eineinhalb Meter Abstandspflicht keine optimalen Voraussetzungen, um entspannt ins Gespräch zu kommen. Deshalb hangele ich mich momentan mit Alltagsbeobachtungen weiter und drücke mich ein wenig vor der Entscheidung, ein komplett neues Projekt zu entwerfen oder darauf zu setzen, dass die Maßnahmen noch während meines Aufenthaltes hier abgemildert werden. Immerhin bietet auch das Leben in der Pandemie jede Menge spannender Aspekte: Man kommt ja endlich mal zu allem, was sonst liegenbleibt, und so wurde vor ein paar Tagen gewissermaßen vor meinem Fenster ein Schatz gehoben. Beim Ausräumen der Schuppen, die gegenüberliegen, fanden sich haufenweise Dokumente, Artefakte, Fotografien der früheren Hausbewohner – und 60 Jahre altes Klopapier. Gehamstert wurde früher also auch schon.

Woran arbeiten Sie gerade?

Strasser: An einem Romanprojekt (fragen Sie nicht!), einem Theaterstück, einer kollektiv entstehenden Satire, jeder Menge Notizen noch unbestimmter Zukunft, natürlich an einer Fortführung des Stadt-Land-Text-Gedankens, meiner Lungenkapazität (Joggen!), meinen Italienisch-Kenntnissen (was sind sie rostig geworden), meinem Schlafrhythmus, der Ordnung meines E-Mail-Postfachs, den ungelesenen Büchern, den ungelesenen Zeitungsartikeln, an der zu bewahrenden Ruhe.

Und wo (im Internet) ­können Neugierige Ihre ­ersten Tal-Texte finden?

Strasser: Dort, wo sich auch die Texte der anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten aus anderen Kulturregionen tummeln.