Wenn alle mit Strom fahren würden
Was wäre, wenn über Nacht alle Erkrather ihre Fahrzeuge mit Strom betreiben würden? Ein Gedankenspiel.
Erkrath. Mal angenommen… über Nacht verwandelten sich alle Autos in Erkrath in Elektrofahrzeuge: Ginge das überhaupt? Was würde das für die Umwelt bedeuten? Bräche das Stromnetz zusammen, weil alle die Autobesitzer ständig ihre Akkus füllen müssten?
Der Geschäftsführer der Stadtwerke Erkrath, Gregor Jeken, lässt sich auf das Gedankenexperiment ein. Der fiktive Versuchsaufbau: Die Stadt Erkrath zählte nach eigenen Angaben Ende November 46 191 Einwohner. Verkehrsexperten gehen in unseren Breiten von 0,4 Autos je Einwohner aus. Wir rechnen rheinisch und runden großzügig auf: Das macht 20 000 Elektroautos. Gregor Jeken: „Natürlich wäre das möglich; auch über Nacht. Aber es ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll, weil in der ganzen Diskussion um umweltschonende Mobilität der Gas-Antrieb sträflich vernachlässigt wird.“
Gregor Jeken, Geschäftsführer der Stadtwerke Erkrath
Die Bürger mit Umweltverantwortung, BmU, hatten bereits im November besorgte Fragen zur E-Mobilität in Erkrath gestellt. Damals geisterten Experten durch die Medien, die einen Zusammenbruch des Stromnetzes vorhersagten, falls plötzlich alle auf Elektrofahrzeuge umstellen würden. Auch im Aufsichtsrat der Stadtwerke wurde das Thema diskutiert. Und auch da gab es vom Chef der Stadtwerke die Zusicherung: Erkrath ist auf die Elektromobilität vorbereitet. Die tatsächliche Zahl von Elektrofahrzeugen in Erkrath gibt er mit 14 an. Bei sieben öffentliche Stromzapfsäulen in Erkrath — geradezu paradiesische Zustände.
Die Frage der Stromkapazität beantwortet Stadtwerke-Chef Jeken mit zwei Hinweisen: In den vergangenen Jahren ist Erkraths Stromverbrauch kontinuierlich gesunken — von 30 Megawatt in der Verbrauchsspitze an einem klirrend-kalten Wintertag auf 26 Megawatt. „Das ist der Erfolg von allen Stromsparinitiativen zusammengenommen.“
Und: „Weil früher das Pose-Marre Edelstahlwerk mit Elektrizität versorgt werden musste, sind die Kapazitäten in Erkrath für mehr als das Doppelte der aktuell abgerufenen Leistung ausgelegt“, sagt Gregor Jeken. Das Stromnetz käme deshalb nicht an seine Grenzen, so Jeken; auch wenn sich die 20 000 E-Mobilisten plötzlich alle zu Hause einen Starkstromanschluss für eine private Schnellladesäule montieren ließen.
Die Probleme sieht Jeken anderswo. Seit 2013 rühmen sich die Stadtwerke, in Erkrath nur noch Ökostrom auszuliefern. Eine Vervielfachung der E-Fahrzeuge in Deutschland wäre ein Erhaltungsprogramm für alte, umweltschädliche Braunkohlekraftwerke, deren Abgase und Feinstaubbelastung mit der vorherrschenden Windrichtung Süd-West aus der Gegend zwischen Köln und Aachen auch bis nach Erkrath getragen werden.
An Tagen mit guter Sicht sind die Rauchfahnen der Dreckschleudern im Braunkohlegebiet gut am Erkrather Horizont auszumachen. Zudem haben Amnesty International und African Resources Watch bereits vor knapp zwei Jahren einen Bericht vorgelegt, laut dem in kleinen Kobaltminen im Süden des Kongos geschätzt 40 000 Minderjährige unter prekären Bedingungen und ohne Sicherheitsausrüstung schufteten. Manche der Kinder seien nur sieben Jahre alt. Kobalt wird dringend für leistungsfähige Elektroauto-Akkus gebraucht.
„Um möglichst rasch Kohlendioxid und Stickoxide und Feinstäube in der Atmosphäre senken zu können, brauchen wir den Erdgasantrieb als Brückentechnologie für die nächsten 20 bis 30 Jahre“, fordert Gregor Jeken von den Stadtwerken Erkrath.
Der selbstständige Medientrainer Claus Schäfer hat seinen Standard-Kombi, Seat Leon, auf Gasbetrieb umrüsten lassen. Die Zapf-Säule steht an der Max-Planck-Straße in Erkrath. Für eine in drei Minuten erledigte Gasfüllung für gut 15 Euro kommt Schäfer nach eigenen Angaben gut 300 Kilometer weit. Apps weisen den Weg zur nächsten Gastankstelle. Der Motor seines Wagens lässt sich auf Benzinbetrieb umschalten. Ein 40-Liter Tank nimmt sämtliche Sorgen, unterwegs mal liegen zu bleiben. Fazit: Technisch gebe es, laut Jeken, keine Probleme, falls Erkrath über Nacht zum Elektro-Auto-Musterdorf werden würde. Unter Umweltaspekten allerdings wirft der Strom-Hype viele Fragen auf.