Die Haaner Fußball-Ikonenkammer
Ein Wohnzimmer in Haan verwandelt sich bei großen Fußball-Turnieren in die ultimative Fanzone. Ein Besuch.
Haan. Die Wand hinterm Sofa macht jeden Präsidenten neidisch und Nato-Oberbefehlshaber schlicht sprachlos: Sorgsam drapiert zeigen 24 Flaggen die Staatsfarben von 24 Nationen. Nicht irgendwelchen Nationen — sondern der Teilnehmer der aktuell laufenden Fußball-Europameisterschaft. Die Sitzgarnitur davor hüllt sich seit dem 10. Juni komplett in Schwarz-Rot-Gold.
Zusammengenäht? „Iwo, sowas gibt es als Meterware im Internet“, sagt Stefan Gentz (34), selbstständiger Handwerker, der den stilvollen, den würdigen Fußball-Termin in besonderer Umgebung zusammen mit seinem Partner „Wolla“ Schönborn (60) seit dem Sommermärchen in Deutschland, 2006, von Großereignis zu Großereignis verfeinert hat. Zum Spiel des heutigen Abends erwarten die beiden an die 15 Gäste.
Erst wird gegrillt, dann geguckt, dann — hoffentlich — gefeiert. Selbst wer mit Fußball normalerweise wenig am Fanhütchen hat, weiß: Deutschland gegen Italien — das ist „Il Classico“, ein ganz besonderes Spiel. Und deshalb kommt es in diesem Fan-Wohnzimmer am Schärerweg auf jedes Detail an. Der Fernseher beispielsweise wird jeweils eingefasst von den Flaggen der aktuell Kickenden: Links also heute Abend das Deutschland-Banner, rechts „La Pianura“ („die Ebene“) — Grün für die Natur, Weiß für die Alpengletscher, Rot für das in den italienischen Unabhängigkeitskriegen vergossene Blut, das Banner Italiens, natürlich.
Vor dem Bildschirm liegen Schals. Fanhüte warten darauf, von den Gästen aufs Haupthaar gedrückt, bei einem Tor in die Luft geworfen oder im Fall tiefer Depression über das Unaussprechliche mit beiden Händen zerknautscht zu werden. Jeder Gegenstand hier hat seine Bedeutung und Funktion. „Es geht schließlich nicht darum, den Raum irgendwie vollzustopfen“, versichert Gentz. Für jede Neuigkeit muss ein angestammter Gegenstand weichen, damit das Gesamtbild stimmig bleibt.
Das haben die Nachbarn längst mitbekommen. „Die beiden sind auf eine positive Art verrückt“, sagt einer. Gerne führen die Hausherren Interessenten und Freunde der Mitbewohner rechts und links durch ihr Haus. Viele kommen nur für einen Augenblick — manche blieben schon auf dem schwarz-rot-goldenen Polster sitzen, um bei einem Pils die nächsten 90, vielleicht aber auch 120 Minuten emsig mitzufiebern.
Nach dem Finale wird alles sorgfältig in Tüten verpackt, in Kartons zusammengelegt und im Keller eingelagert. Die ersten Tage im normalen Wohnzimmer sind dann immer ein wenig — nun ja — farblos. „Wie Weihnachten, wenn der Baum mit all seiner Deko seinen Zweck erfüllt hat“, vergleicht Gentz. Ob die deutsche Mannschaft denn heute Abend ihre Italo-Phobie in großen Turnieren überwindet und sich in die nächste Runde begibt, mag er nicht mit fester Stimme vorhersagen: „Die Mannschaft hat sich im Turnier gesteigert. Aber die alten Herren aus Italien spielten bisher sehr clever — da müssen wir uns schon noch steigern, um als Sieger vom Platz gehen zu können.“
Zur WM in Russland wird die Fußball-Ikonenkammer dann erneut aufgebaut werden. Einfach nur in die Glotze gucken, das kann ja jeder.