Gemeindeleben in Haan Pfarrer bringt Kirche zum Supermarkt

Haan · Kurt Erlemann, Pfarrer der evangelisch-reformierten Gemeinde Gruiten-Schöller, möchte Kirche dorthin bringen, wo Menschen sind. In die „Supernah“-Bäckerei kommen sie zum Plaudern und mit ihren Sorgen.

Das Schild bräuchte er kaum noch, so bekannt ist das Angebot von Pfarrer Kurt Erlemann im „Supernah“.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Im Talar herumlaufen? Mit dem Kreuz vor der Brust? Kurt Erlemann schüttelt den Kopf. Wer so etwas wolle, der sei bei ihm verkehrt. Stattdessen sitzt der Pfarrer in der Supernah-Bäckerei und ist „ansprechbar“, wie nahezu immer einmal in der Woche. Vor einem Jahr war Erlemann, ehemals noch Professor an der Uni in Wuppertal, von dort zur evangelisch-reformierten Gemeinde Gruiten-Schöller gekommen. Die „Chemie“ stimmte sofort, jemanden wie Kurt Erlemann konnte die Gemeinde sehr gut gebrauchen.

Als es um eine Sprechstunde ging, die überlicher Weise im Gemeindebüro abgehalten wird, habe der Pfarrer zum ersten Mal mit dem Kopf geschüttelt. „Nö, das wollte ich so nicht“, erinnert er sich an die Anfänge von „Ansprechbar“. Von ihm hört man auch das: „Kirche muss aus der Kirche rausgehen, hin zu den Menschen“. Alsbald habe er den Supernah-Supermarkt im Blick gehabt, anfangs stand der Pfarrer vor dem Weinregal. Als er von einer Kundin hört, dass sie aber keinen Wein kaufen wolle, ist klar: Erlemann muss umziehen, seither schlägt er seine „Zelte“ in der Bäckerei auf.

Dort sitzt er nun seit einigen Monaten, das „Ansprechbar“-Format hat sich längst zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. Vermutlich könnte er das Schild längst wegstellen, mit dem er auf sich und seine Bereitschaft zum Gespräch aufmerksam macht. Die Leute kommen auch so zu ihm, der eine will plaudern, den anderen plagen Sorgen und Nöte. Wenn es zu privat wird, bietet Erlemann eine Fortsetzung des Gesprächs an, dann im Gemeindebüro.

Was er so hört an den Vormittagen in der Bäckerei? Von Leuten, die ihm etwas aus ihrem Leben erzählen bis hin zu denen, die über die Kirche klagen, sei schon alles dabei gewesen, erzählt Kurt Erlemann und er sagt: „Die Menschen sind voll mit Dingen, die sie umtreiben.“

Dauerberieselung mit schlechten Nachrichten

Vom Klimawandel über den Krieg in der Ukraine bis hin zu dem, was er selbst „Empörokratie“ in den sozialen Medien nennt, kennt Erlemann die Ängste der Menschen, denen er zuhört. Zuhören zu können: das sei im Übrigen etwas, das ihm selbst sehr wichtig sei. Als er auf die sozialen Medien zu sprechen kommt, schüttelt Erlemann den Kopf: Zu viel digitales Geschrei, zu viel Polarisierung und überhaupt, zu wenig Substanzielles. Er hat mal reingeschaut auf Facebook und Instagramm und für sich festgestellt: Zu bunt, zu viel Video, das mache ich nicht mit. Und dann ist da noch diese Dauerberieselung mit schlechten Nachrichten und die Rangelei um Klicks und Likes, die einen als Mensch ratlos zurücklässt: Für ihn sei das alles unerträglich, so Erlemann. Stattdessen wolle er Gelassenheit und vor allem auch Zuversicht unter die Leute bringen, als die „frohe Botschaft“ in ihrem besten Sinne. „Wir haben als Menschen nicht alles selbst in der Hand“, weiß Kurt Erlemann.

Dass es einen Ankerpunkt außerhalb von uns selbst gebe, sei im Grunde auch eine seelische Entlastung. Sich für den Lauf der Dinge selbst verantwortlich zu fühlen, könne zur Überforderung werden und letztlich in die Verzweiflung führen. Angst sei ein ohnehin schlechter Ratgeber, so Erlemann, dem gelte es, etwas entgegenzusetzen. Mindestens ein Jahr will er noch als Pfarrer „ansprechbar“ bleiben, spätestens Ende 2026 ist für ihn Schluss. Schon jetzt drängt sich der Gedanke auf, das Kurt Erlemann nicht nur in der Gemeinde eine große Lücke hinterlassen könnte.