Prozess um Säure-Anschlag in Haan Dramatische Szenen leben ein zweites Mal auf

Haan · Das Wuppertaler Landgericht musste sich im Prozess gegen den Angeklagten Marco L. jetzt erneut mit Details des Säure-Attentats auf Ex-Innogy-Manager Bernhard Günther befassen.

Eine hohe Belohnung und eine Plakataktion waren bei der Suche nach Hinweisen auf die Täter seinerzeit zum Einsatz gekommen.

Foto: dpa/David Young

Die ersten Fotos nach dem Säureanschlag auf Bernhard Günther haben Sanitäter im Rettungswagen mit dem Handy gemacht. Da hatte sich die Säure schon durch die Jogginghose und den Pullover „gefressen“. Der Energiemanager wirkte geschockt, sein Gesicht war gerötet. So erzählt es ein Rettungssanitäter, der als einer der ersten am Tatort im Musikantenviertel war. Das Tückische an einem Säureanschlag: Die Verletzungen entwickeln sich langsam. Erst die roten Flecken auf der Haut, dann kommt der Schmerz. Derweil frisst sich die Säure in tiefere Gewebeschichten, es entwickeln sich sogenannte „Nekrosen“.

Es sind erschreckende Bilder vom kahlgeschorenem Kopf, mit denen sich die Kammer des Wuppertaler Landgerichts im Prozess gegen den Angeklagten Marco L. nun erneut befassen muss. Er soll gemeinsam mit dem im Sommer bereits zu zwölf Jahren Haft verurteilten Belgier Nuri T. den Säureanschlag auf den ehemaligen Innogy-Manager Bernhard Günther verübt haben.

Das Gesicht aufgedunsen und vollkommen entstellt: Es gibt keine Stelle, die nicht verletzt ist. Man kann erahnen, was Bernhard Günther seinerzeit alles über sich ergehen lassen musste. Nuri T. hatte die Tat bestritten, von dessen Zeugenaussage am Freitag erhofft sich Bernhard Günther vor allem Hinweise auf die Hintermänner für eine Tat, deren Auftraggeber er im beruflichen Umfeld vermutet. Auf der Anklagebank sitzt nun Marco L., die Staatsanwaltschaft hält den Serben für denjenigen, der mit Nuri T. am Tatort war. Wer den Energiemanager von hinten zu Boden gedrückt hat? Wer ihm die Säure ins Gesicht geschüttet hat? Das muss nun die erneute Beweisaufnahme klären.

Am zweiten Verhandlungstag erzählen Rettungssanitäter und Polizeibeamte im Zeugenstand von den dramatischen Ereignissen, die sich am 4. März 2018 in einem Park im Haaner Musikantenviertel abgespielt haben. Gegen 9 Uhr morgens geht der Notruf ein. Die Meldung in der Leitstelle: Jogger mit Pfefferspray besprüht.

Bernhard Günther schreit im Rettungswagen vor Schmerzen

Drei Minuten später ist der erste Rettungswagen vor Ort. Bernhard Günther läuft schreiend auf die Notfallsanitäter zu, er hat höllische Schmerzen. Zuvor hat er noch versucht, sich in seiner Küche mit dem Brauseschlauch aus der Spüle die Flüssigkeit aus dem Gesicht zu waschen. Noch weiß er nicht, dass es Schwefelsäure ist. Mit triefend nassen Klamotten läuft er auf die Rettungssanitäter zu, die merken sofort: Es riecht „nach faulen Eiern“. Sie drängen Günther, sich sofort seine Sachen auszuziehen, bis auf die Unterhose.

Schnell kommt der Säure-Verdacht auf, einer der Sanitäter zieht sich Schutzkleidung an und steigt mit Günther in den RTW. Er macht Fotos mit dem Handy, die sich die Polizeibeamten draußen anschauen. Sie sollen möglichst auf Abstand bleiben, zu groß ist die Gefahr, dass sie selbst durch die Säure verletzt werden könnten. Bernhard Günther schreit auch im Rettungswagen vor Schmerzen, der Notarzt gibt ihm ein Schmerzmittel. Die Rettungssanitäter bitten die Polizei darum, Günthers schlafende Kinder aus dem Haus zu holen. „Sonst hätten wir jetzt drei Säureopfer“, ist sich der Zeuge sicher. Es sei auch nicht klar gewesen, ob die Täter möglicherweise weitermachen und den Rettungswagen angreifen würden.

Eine Polizeibeamtin, die mit als erste am Tatort war, erzählt an diesem zweiten Prozesstag von der Angst der Rettungssanitäter. Sie sei darum gebeten worden, mit ihrem Kollegen den RTW zu schützen. Mit Bernhard Günther habe sie nur kurz sprechen können. Zwei Männer, von hinten runtergedrückt, Flüssigkeit ins Gesicht gekippt: Mehr habe er nicht gesagt. Sie habe ihn nur schlecht verstehen können und vermutet, dass auch die Lungen „angegriffen“ gewesen seien.

Im Rettungswagen liegend, hört Bernhard Günther draußen die Stimme seiner Frau. Sie darf nicht zu ihm, denn noch immer ist nicht geklärt, um welche Flüssigkeit es sich handelt. Erst auf der Intensivstation sieht sie ihn wieder. Zuvor hatte ein Hubschrauber den lebensgefährlich Verletzten in eine Spezialklinik nach Duisburg gebracht.

Der Prozess wird fortgesetzt.