Scheinfirmen Betrug: Staatsanwalt hadert mit Gericht

<br>Das Gespräch führte Sabine Maguire · Interview Sie sollen mit Scheinfirmen 36 Millionen Euro Schaden verursacht haben – jetzt sind die mutmaßlichen Täter nach U-Haft wohl über alle Berge.

Wolf-Tilman Baumert von der Staatsanwaltschaft Wuppertal kritisiert, dass die Beschuldigten auf freien Fuß gesetzt wurden.

Foto: Sabine Maguire

Vor einem Jahr klickten in einem Hochhaus in Erkrath die Handschellen. Nahezu zeitgleich wurden auch andere Wohnungen durchsucht, unter anderem in Ratingen und Monheim. Damals war ein Sondereinsatzkommando der Zollbehörde zur Razzia „Moses“ angerückt, verhaftet wurden fünf Männer und eine Frau. Der Einsatz gilt als bis dahin größter Schlag gegen die organisierte Schwarzarbeit in NRW. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Die Angeschuldigten sollen über Jahre hinweg ein Scheinfirmengeflecht im Baugewerbe unterhalten und so Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in zweistelliger Millionenhöhe hinterzogen haben. Nun wurden sie aus der Untersuchungshaft entlassen. Alles andere als glücklich darüber ist der Sprecher der Wuppertaler Staatsanwaltschaft, Wolf Tilman Baumert.

Herr Baumert, nach einem Jahr haben Sie sechs mutmaßliche Steuerhinterzieher aus der Untersuchungshaft entlassen. Dabei geht es um Millionenbeträge. Wie konnte das passieren?

Wolf Tilman Baumert: Da muss ich erst mal eines klarstellen: Nicht die Staatsanwaltschaft hat die Angeschuldigten auf freien Fuß gesetzt, sondern das Wuppertaler Landgericht. Sobald – wie in diesem Fall geschehen – die Anklage erhoben wurde, entscheidet das Gericht über die Haftentlassung.

Mit welcher Begründung wurde das denn veranlasst?

Baumert: Die 6. Große Strafkammer hat die Täterschaft der sechs Angeschuldigten nicht in Zweifel gezogen. Die Kammer hat allerdings die Feststellung des eingetretenen Schadens nicht als ausreichend für eine spätere Verurteilung angesehen.

Wurden Sie über die bevorstehende Haftentlassung in Kenntnis gesetzt?

Baumert: Nein, wir haben erst später davon erfahren. Die Strafkammer hat einen Nichteröffnungsbeschluss erlassen und die Aufhebung der Haftbefehle veranlasst.

Und die Angeschuldigten sind jetzt über alle Berge und haben dazu noch Anspruch auf Entschädigungszahlungen für die verbüßte Haftzeit.

Baumert: Sollte es bei dieser Entscheidung bleiben, müsste ein Entschädigungsanspruch geprüft werden. Wir haben allerdings beim Oberlandesgericht in Düsseldorf sowohl Beschwerde gegen die Nichteröffnung des Verfahrens und auch gegen die Aufhebung der Haftbefehle eingelegt.

Muss das Oberlandesgericht nicht ohnehin nach einer gewissen Zeit prüfen, ob die Untersuchungshaft aufrechterhalten werden kann und soll?

Baumert: Ja, nach sechs Monaten in Untersuchungshaft wird genau das regelmäßig geprüft. Noch vor wenigen Wochen war die Akte – im Übrigen zusammen mit der erhobenen Anklage – zur erneuten Prüfung dort. Gründe für eine Haftentlassung hat das OLG nicht gesehen.

Die Angeschuldigten kommen aus Serbien, dem Kosovo, der Ukraine und aus Israel. Sie dürften Deutschland längst verlassen haben. Wie wollen Sie die Leute jemals wieder aufgreifen?

Baumert: Als wir sie vor einem Jahr verhaftet haben, lebten sie hier in der Gegend und wussten nichts davon, dass wir ihnen auf den Fersen waren. Das ist jetzt natürlich anders. Würden wir mit unserer Beschwerde erfolgreich sein, hätten wir auch wieder die zuvor durch das Landgericht aufgehobenen Haftbefehle. Wir würden dann natürlich wieder versuchen, die Angeschuldigten aufzuspüren und in Untersuchungshaft zu verbringen.

Wie kann es überhaupt sein, dass dem Gericht die Beweislage nicht ausreicht, obwohl man bereits vor Jahren erste Hinweise auf das Scheinfirmengeflecht bekommen hatte und die Ermittlungen länger als ein Jahr gelaufen sind?

Baumert: Aufgefallen waren die Machenschaften schon 2015. Damals kam von der Staatsanwaltschaft Köln im Zusammenhang mit einem dort anhängigen Fall ein Tipp auf Verbindungen hier in die Region hinein. Auch der Zoll hat uns diesbezüglich angesprochen.

Wie lief es danach weiter?

Baumert: Nachdem dieser Anfangsverdacht entstanden war, haben wir ein Verfahren eingeleitet, um die Ermittlungen aufnehmen zu können. Es gab Durchsuchungen bei den Scheinfirmen und auch bei den Unternehmen, die von dort Rechnungen angekauft hatten. Es wurden Zeugen vernommen. Der durch Steuerhinterziehung und nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge entstandene Schaden wurde auf etwa 36 Millionen Euro geschätzt.

Und das reichte dem Landgericht nicht aus, um das Verfahren eröffnen zu können?

Baumert: Nein, der Kammer genügte die Schätzung nicht – obwohl das bei derartigen Straftatbeständen durchaus üblich ist. Solche Firmen führen keine genaue Buchhaltung, in der hinterzogene Steuern und nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge genau aufgelistet sind.

Von der Strafkammer war zu hören, dass man Sie auf die mangelnde Beweislage hingewiesen habe.

Baumert: Wir haben eine E-Mail bekommen, in der das erörtert wurde. Darauf haben wir substantiell geantwortet und mitgeteilt, warum wir die Schäden geschätzt haben und dies im vorliegenden Fall auch geboten war. Hätte das Landgericht konkrete Ermittlungsmaßnahmen erbeten, hätten wir diese durchgeführt. Unserer Auffassung nach war der Sachverhalt ausermittelt.