Als die Bahn noch „gleislos“ fuhr

Paul Heinz Schwieres kennt viele alte Bahn-Geschichten. Jetzt erzählte er sie im Alten Bahnhof Langenfeld.

Langenfeld/Monheim. Ein Raunen erhob sich, als einige Gäste auf den Dias vertraute Ecken ihrer Heimatstadt wiedererkannten: „Diese Auswahl an Fotos ist ja gigantisch“, staunte ein Betrachter. „Das ist nur ein kleiner Teil meiner Sammlung“, sagte Paul Heinz Schwieres darauf schmunzelnd. Umgeben von mehr als 50 Gästen in der früheren Gaststätte des Alten Bahnhofs Langenfeld, kommentierte der 79-Jährige den Bilderbogen, der von den Anfangsjahren des Bahnverkehrs bis zu den späten 1970ern reicht. In seinem Vortrag „Am Anfang war die Gleislose“ lieferte Schwieres auf Einladung des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Leverkusen-Niederwupper, einen Überblick über die Geschichte der Kleinbahnstrecke Langenfeld-Monheim-Baumberg-Hitdorf-Rheindorf.

Foto: Drachenmond; Schwieres

Für den Startschuss für die Kleinbahn hatte, wie an vielen anderen Orten auch, die Industrialisierung gesorgt. „Sie zwang zu Überlegungen, die Firmen auf Monheimer Gemeindegebiet verkehrsmäßig an die 1845 gegründete Cöln-Mindener Eisenbahn im Bahnhof Langenfeld anzuschließen, um eine schnellere An- und Abfuhr von Gütern zu ermöglichen“, erklärte Schwieres.

Foto: Matzerath

Die Pferdefuhrwerke hatten schlicht ausgedient. Die elektrische Beförderung von Menschen und Gütern nahm, wie der Titel der Veranstaltung nahelegte, ihren Anfang in einer gleislosen Bahn, die am 31. Mai 1904 ihren Betrieb aufnahm — und gleichermaßen Bewunderung wie Unmut in der Monheimer Bevölkerung auf sich zog: „Schrecken endlos, fährt sie gleislos, alles rennet, rettet, flüchtet, hat von fern man sie gesichtet“, gab Schwieres die Verse des Volksmundes wieder. Das Rangieren habe sich als Problem erwiesen und bei Regen seien die Wagen im Matsch steckengeblieben.

So fiel nur wenige Jahre später der Beschluss, eine Schienenbahn einzuführen. Eröffnet wurde die am 5. Dezember 1908 — und entpuppte sich laut Schwieres als Wachstumsmotor für die Gemeinden Monheim, Hitdorf, Rheindorf und Baumberg: Betriebe siedelten sich an — und bis zum zweiten Weltkrieg sei die Zahl beförderter Menschen von zunächst rund 137 000 um fast das Zehnfache, die Menge transportierter Güter gar von zunächst 6000 auf mehr als 400 000 Tonnen angestiegen.

Nach Zerstörungen der Anlagen im Krieg nahm die Bahn ab 1945 wieder den Betrieb auf. In den 60er Jahren, nach Vertragsauflösung mit dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk (RWE) übernahm die Stadt Monheim die Kleinbahn und stellte den Personenverkehr auf Busse um.

Einen erheblichen Teil der Geschichte hat Schwieres dabei selbst miterlebt: „Ich habe im Jahr 1953 in der Bahnmeisterei meine Ausbildung zum Jungwerker angefangen“, erzählte der gebürtige Richrather, der sich später bei der Kleinbahn um die Güterabfertigung kümmerte.

Spruch der Monheimer über die unbeliebte „Gleislose“

Die Faszination für die Materie wurde ihm förmlich in die Wiege gelegt: „Mein Vater war bei der Eisenbahn, und ich durfte schon mit zwölf Jahren das Signal ziehen.“ Kein Wunder, dass er noch während seiner aktiven Zeit begann, von Kollegen und Freunden unzählige Fotos und andere Dokumente über die Bahn zu sammeln. „Ich habe auch selbst viel fotografiert“, erzählte der Buchautor nach seinem Vortrag, als die Gäste allmählich den Alten Bahnhof verließen.

Dieser 173 Jahre alte Bau, 1991 als Bahnhof stillgelegt, dient seit mehr als 20 Jahren als Firmengebäude: für das Unternehmen Qualisys von Ingo Henckels, das sich auf das Management von Gefahrstoffen spezialisiert hat. Zwar trennt eine Dornenhecke den Alten Bahnhof von der Bahnline — doch ein Hauch von Geschichte weht noch immer durch die Hallen: „Hier bin ich schon ewig nicht mehr gewesen“, sagte ein Besucher und warf einen melancholischen Blick auf den vergilbten Fahrplan an der Wand.