Lokomotiven am Seil gezogen
Die erste Seilzuganlage Deutschlands half den schweren Zügen den Berg hinauf.
Erkrath. Wer meint, der Service des Unternehmens Bahn sei erst in den vergangenen Jahren verkümmert, liegt falsch. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durfte auf offener Strecke aussteigen, wer gegen die Beförderungsrichtlinien verstieß. Die besagten, dass Kranke und Menschen mit Alkohol im Blut grundsätzlich von der rasenden Hatz mit rund 20 km/h von Düsseldorf nach Elberfeld Abstand zu nehmen hatten. Immerhin begründete das Unternehmen dieses Ausschlussverfahren mit der Sorge um die Gesundheit seiner Fahrgäste angesichts der horrenden Geschwindigkeit.
Bevor 1838 die Züge auf der ersten Strecke Westdeutschlands zwischen Düsseldorf und Erkrath ihre Rußschwaden in die Himmel pusteten, waren Pferdefuhrwerke die einzige Reise- und Transportmöglichkeit mit entsprechend gemächlichem Reisetempo. „Die brauchten von Elberfeld in den Düsseldorfer Hafen sechs Stunden“, sagt Udo Kampschulte, der sich als Vorsitzender des Vereins, der in Erkrath-Hochdahl den historischen Lokschuppen samt Museum betreibt, mit solchen Fakten bestens auskennt.
Nachdem die Eisenbahnstrecke von Düsseldorf nach Wuppertal in flachem Terrain bis Erkrath verlegt worden war, sollte die Trasse weiter über Unterbacher Grund und Boden vorangetrieben werden. Weil aber Grundstückseigentümer nicht verkaufen wollten, wagte die Düsseldorf-Elberfelder-Eisenbahn-Gesellschaft (DEEG) das bis dahin Unvorstellbare: die Fahrt über den Berg. Hier ist nicht die Rede von Gipfeln in Konkurrenz zu den Alpen. Es galt, auf einer Strecke von 2,5 Kilometern 81 Höhenmeter zu überwinden — 3,3 Prozent Steigung. Das schafft heute jeder Hobby-Radfahrer, nicht aber die damaligen Lokomotiven.
„Was dann passierte, war eine technische Sensation“, sagt Kampschulte. Drei Jahre lang verlegten 1000 Gastarbeiter aus Schlesien Schienen, trieben tiefe Einschnitte in die Landschaft und bauten einen Bahnhof im Erkrather Stadtteil Hochdahl. Daran angegliedert wurde die Technikhalle, in der eine riesige Dampfmaschine eine Rolle antrieb, die das Seil aufwickelte, das die Züge über den Berg zog. So kompliziert, wie sie klingt, war die Technik auch.
Die Faszination der ersten deutschen Seilzuganlage mit britischer Technik war indes nur von kurzer Dauer. Kampschulte: „Das war alles schwachsinnig geplant.“ Wenn das Seil aufgerollt war, musste es nämlich von einem Zug, der talwärts Richtung Düsseldorf fuhr, mitgenommen werden. So schafften es nur wenige Züge pro Tag bis Wuppertal.
Erst eine grundsätzliche Überarbeitung des Fahrplans brachte Schwung in den Takt — mit dem Ergebnis, dass die Dampfmaschine nach nur wenigen Monaten Betrieb von der Rolle ging. „Danach wurde ein Umlenksystem installiert“, sagt Kampschulte. Damit zog der Zug, der bergab fuhr, einen anderen schlicht über die Hügel. Seil-Aufrollen, lange Wartezeiten — alles Vergangenheit.
Wie gut das Prinzip mit dem zweiten Versuch funktionierte, belegen zwei Jahreszahlen: Erkraths Seilzuganlage war von 1841 bis 1926 in Betrieb. Bedarf nach der ziehenden Kraft gibt’s jedoch auch heute noch immer dann, wenn eine S-Bahn im Herbst auf rutschigem Laub vor der „Wand von Hochdahl“ kapituliert und stehenbleibt.
Erst 1961, als die Seilzuganlage bereits Geschichte war, schaffte es eine E-Lok mit rund 5000 PS, den Gipfel zu stürmen. Zuvor war dafür die Kraft von bis zu vier Dampfloks erforderlich gewesen.