„Von Merkel bin ich enttäuscht. Sie hatte kein Konzept.“
SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese über die Arbeit in Berlin, die AfD und die Sondierungsgespräche.
Mettmann. Kerstin Griese ist bei der Bundestagswahl zwar nicht über ein Direktmandat in das Parlament eingezogen, hatte aber einen sicheren Listenplatz. Wie es nun in Berlin weiter geht, darüber haben wir mit der Bundestagsabgeordneten gesprochen.
Frau Griese, wann wählen Sie denn einen neuen Kanzler oder eine Kanzlerin?
Kerstin Griese: So wie es derzeit aussieht, wird das nicht vor März stattfinden. Das ist länger, als die Wähler erwartet haben, aber es geht im Moment nicht anders. Ich kann mir aber auch noch ein ganz anderes Modell vorstellen, wie es mal vor Jahren in Israel praktiziert wurde. Kanzlerwechsel mitten in der Amtszeit. Erst die CDU, dann die SPD, das wäre doch mal ein Vorschlag.
Haben Sie denn mit so einer langen Phase der Regierungsbildung gerechnet?
Griese: Nein, ich war wirklich überzeugt, dass Jamaika klappen wird. Bei dem bitteren Wahlergebnis von nur 20,5 Prozent habe ich es auch anfangs für völlig richtig gehalten, dass wir in die Opposition gehen. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass die Grünen sehr gerne Verantwortung in der Regierung übernommen hätten. Die waren nun 12 Jahre nicht mehr dabei, das war eine große Chance. Letztendlich ist es an Christian Lindner gescheitert, der von Anfang an nicht so richtig wollte. Von Angela Merkel bin ich richtig enttäuscht, die Kanzlerin hatte offenbar kein klares Konzept in den Verhandlungen.
Meinen Sie, die SPD und die CDU haben bei ihren anstehenden Gesprächen nun mehr Erfolg?
Griese: Ich sage ganz klar, da kommt es auf die Inhalte an. Ich weiß aber auch, die SPD wird jetzt gebraucht. Denn so einfach lässt das Grundgesetz keine Neuwahl zu. Die Sondierungsgespräche werden vom 7. bis zum 12. Januar stattfinden. Am 21. Januar wird dann ein SPD-Parteitag entscheiden, ob die Partei förmliche Koalitionsverhandlungen über einen konkreten Vertragstext aufnimmt. Wir werden aber in den Sondierungen mit der Union nicht über 156 Seiten Text wie die Jamaika-Partner verhandeln, sondern reden über fünf bis zehn Seiten.
Und was soll auf den zehn Seiten stehen? Bloße Absichtserklärungen? Die SPD ist aus der vergangenen Großen Koalition nicht gerade besonders gut rausgekommen?
Griese: Wir müssen die konkreten Alltagsprobleme der Menschen angehen. Die SPD hat in den letzten Jahren viel erreicht, endlich den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, die Kitas ausgebaut, eine Mietpreisbremse eingeführt. Aber jetzt geht es um die zukünftigen Themen.
Welche Themen sind der SPD in einer möglichen Großen Koalition wichtig?
Griese: Sichere Jobs, eine verlässliche Rente, bessere Pflege und mehr Investitionen in Bildung. Darüber hinaus bezahlbare Wohnungen. Die Bürgerversicherung und die Abschaffung des Solis sind mittelfristige Ziele.
Der Bundestag ist in diesem Jahr schon zwei Mal zu Sitzungen zusammen gekommen. Hat sich mit dem größeren Parlament etwas geändert?
Griese: Ja klar, es sind fast 700 Abgeordnete, wir mussten enger zusammenrücken. Was mir aufgefallen ist, die Vertreter der AfD sind fast den ganzen Tag im Sitzungssaal und immer sehr aggressiv und laut. Einer ihre ersten Anträge war, alle Syrer nach Hause zu schicken, weil es in dem Land angeblich keinen Krieg mehr gibt. Völlig absurd. Bei meiner ersten Rede in dieser Legislaturperiode, in der es um den Mindestlohn ging, habe ich aber gemerkt, dass die AfD in den Fachthemen nichts zu bieten hat. Bei konkreten Fragen tauchen sie ab, und bei Themen, die die Menschen im Land bewegen, hat die AfD keine Lösung.
Das Thema Flüchtlinge wird die Republik aber noch einige Jahre beschäftigen.
Griese: Das stimmt. Es wird höchste Zeit, dass wir endlich ein Einwanderungsgesetz bekommen. Ich stelle mir das nach dem kanadischen Modell vor, bei dem es darum geht, dass diejenigen mit gesuchten Qualifikationen einwandern können.
Mit Flüchtlingen haben Sie aber auch bei Ihren Besuchen in ihrem Wahlkreis in Ratingen und Wülfrath zu tun?
Griese: Ja das stimmt und, es sind manchmal tragische Fälle dabei. Neulich war ich an einer Schule, da ging es um eine albanische Familie, die abgeschoben worden ist, die Schüler konnten sich nicht mal von ihren Freunden verabschieden. Da herrschte große Bestürzung und Trauer, und das kann ich auch verstehen. Ein Flüchtling hatte sogar eine Ausbildung als Altenpflegehelfer gemacht und hätte sofort anfangen können, zu arbeiten. Ich setzte mich dafür ein, dass Leute nach einer derartigen Ausbildung weitere zwei Jahre hier bleiben und arbeiten können. Das sind Mangelberufe, da wird jeder gebraucht.