Martin Walser las aus seinen Tagebüchern vor
Der Schriftsteller war in Hösel zu Gast.
Schwer angeschlagen wirkte Martin Walser, als er von Kulturkreis-Vize Regine Walther flankiert Richtung Mikrofon geleitet wurde. Eine Bronchitis beutelte den Schriftsteller. „Aber er wollte uns nicht schon wieder absagen müssen“, erzählte Regine Walther hinter vorgehaltener Hand, der Vorlesetermin war ja bereits verschoben worden. Letztlich tat die Malaise dem Abend keinen Abbruch.
Auf einer Woge der Sympathie trug das Publikum seinen bewunderten Schriftsteller. Ohne Umstände begann der zu lesen. Aus dem 4. Band seiner Tagebücher. Sie umfassen die Zeit von 1979 bis 1981. „Früher war ich viel Ich-süchtiger“, kommentierte er später im Gespräch mit Lothar Schröder, diese Lebensphase. Er habe „Begebenheiten in jeder Nuance wiedergeben müssen“. Das Schreiben war keine Notwendigkeit, Klarheit zu gewinnen. „Mit einer gewissen Freude habe ich notiert, wie blöd etwas läuft.“ Und weil er dabei einen „hohen Begriff von Moral“ hatte, hat er „nie etwas verfälscht, stilisiert oder Sätze aus Tagebüchern für Veröffentlichungen verbessert“. Viel Familiäres steht in diesen Abschnitten, oft werden Ehefrau und Töchter erwähnt. Und wer die Namensliste akribisch nachzählte, bemerkte, auch Verleger Siegfried Unseld spielte eine Rolle, ebenso wie Marcel Reich-Ranicki nicht unerwähnt blieb. Die Tagebücher sind für den inzwischen 88-Jährigen so etwas wie eine „Wiese der Freiheit“, in denen unverhüllt Stimmungen und Tatsachen notiert werden. Nicht, um sich an Begegnungen mit Katia Mann, Kanzler Helmut Schmidt oder Bundespräsident Carstens zu erinnern.