Angeklagter: „Ich hatte keine Kenntnis vom Gasaustritt“
Chemiewerksleiter bestreitet, im Jahr 2008 bei Unfall fahrlässig gehandelt zu haben.
Wülfrath/Mettmann. Vor fast drei Jahren kam es im Industriegebiet Dieselstraße zu einem Chemieunglück. Aus den Hallen der Firma Ashland Südchemie Kernfest (ASK) waren am 25. August 2008 rund 300 Liter das schädliche Gas Dicyclopentadien (DCPD) ausgetreten. In einem Reaktor, in dem das Gas zur Herstellung von Kunstharz verwendet wird, war es zu erhöhtem Druck gekommen. Eine Berstscheibe zerbrach, um den Druck entweichen zu lassen. Das Gas drang nach außen. Mehrere Menschen wurden verletzt.
Mittwoch begann am Amtsgericht Mettmann der Prozess gegen den heute 48-jährigen Leiter des Chemiewerkes. Michael M. wird vorgeworfen, er habe erst mit Verzögerung die Feuerwehr informiert und dabei nicht über die Gefahr der Gaswolke aufgeklärt. Fahrlässige Körperverletzung in 34 Fällen lautet deshalb die Anklage. Die Geschädigten klagten unter anderem über Kopfschmerzen, Schwindel und Bauchschmerzen.
„Hätte der Angeklagte seine Pflichten wahrgenommen, wäre es nicht zu den Verletzungen gekommen“, verlas Oberamtsanwältin Angelika Klußmann in der Anklageschrift. „Wir müssen den Fall mit der gebotenen Sachlichkeit und Sensibilität angehen“, betonte Richter Thomas Künzel gleich zu Anfang. Bei M. gehe es nicht um die Frage, ob er eine Schuld am Unglück trage. Das sei durch die kaputte Berstscheibe geklärt. Vielmehr gehe es darum, ob der Werksleiter für eine Verzögerung beim Ruf der Hilfskräfte verantwortlich ist.
Die Anspannung war dem Angeklagten in seiner Gestik anzumerken. Im Laufe der Vernehmung durch Richter Künzel wies M. den Vorwurf der Fahrlässigkeit zurück. Gegen 11 Uhr sei er sowohl durch einen Anruf einer angrenzenden Firma, als auch vom Leiter der ASK-Qualitätskontrolle auf einen Vorfall hingewiesen worden. Es stinke und ein Ölfilm habe sich gebildet. Da er von seinem Büro aus nichts sehen konnte, sei er herausgegangen.
Der Ölfilm war bereits an der naheliegenden Kreuzung am Boden niedergegangen. „Ich bin dann zunächst von einem Tankunfall ausgegangen“, sagte M. am Mittwoch. Um 11.17 Uhr gab der Werksleiter einen Notruf an die Feuerwehr ab. „Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von ausgetretenem Gas.“ Deshalb habe er der Feuerwehr damals gemeldet: „Aus jetziger Sicht geht von dem Stoff keine weitere Gefahr aus“. Die größere Gefahr sei in dem Moment die Straßenglätte gewesen, erinnert M. sich. Der Leiter der ASK-Qualitätskontrolle stützte diese Aussage.
Oberamtsanwältin Klußmann konnte diese Sicht nicht nachvollziehen: „Sie haben dort doch keine Seifenlauge für Pustefix. Da wäre es doch ihre Aufgabe gewesen, nachzuhaken.“ M. sagte, dass es bei ASK üblich sei, dass sich die Mitarbeiter bei einem Störfall bei ihm melden, nicht umgekehrt.
Neben M. sagten mehrere Zeugen aus. Der Leiter der Qualitätskontrolle sagte, er selbst habe die Feuerwehr um 11.22 Uhr über den Austritt von DCPD informiert. Die Frage, ob M. zu spät gehandelt hat, konnte am Mittwoch allerdings nicht geklärt werden. Offen ist auch, ob ihm überhaupt alle 34 Verletzungen angelastet werden können.