Wülfrath. Arbeitersiedlung wie aus dem Bilderbuch

Wülfrath. · Die Kalksteinwerke folgten beim Bau vor gut 100 Jahren den Ideen einer Gartenstadt. Seit dem Jahr 2005 steht die Siedlung Rohdenhaus unter Denkmalschutz.

Die Straße Am Kliff besticht durch ihre Gebäude, die zwischen 1910 und 1912 gebaut wurden.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Werner Koch hat immer nah zu seinem Arbeitsplatz gewohnt. Der 80-jährige Rentner zog im Herbst 1960 mit seiner Frau und seiner jungen Tochter in das Haus „Am Kliff 24“ ein. Die damals noch recht einfach gehaltene Wohnung ist Teil der Arbeitersiedlung Rohdenhaus des Kalkwerks Flandersbach und stand damals nur Mitarbeitern des Unternehmens offen. Heute ist das anders und Tochter Michaele kann gleich ein paar Häuser weiter – Am Kliff 34 – mit ihrer Familie wohnen. Wobei die Familien seit Juli 2005 in einem Denkmal leben: Zu dem Datum wurde die Arbeitersiedlung mit ihren etwa 20 Häusern an der Flandersbacher Straße 84-98 und Am Kliff 24-54 als Baudenkmal ausgewiesen.

Das Leben für Werner Koch und seine Ehefrau Irmgard hat sich durch den Denkmalstatus – man kann wohl sagen zum Glück – nicht wesentlich verändert. „Arbeiten an der Außenfassade müssen wir uns genehmigen lassen“, sagt der Rentner bei einem Besuch in seiner Wohnung. Weitere Einschränkungen gebe es kaum. Zudem sei die Bausubstanz der zu Beginn der 1910er Jahre entstandenen Gebäuden am Kliff „sehr gut“. Die Häuser seien aus soliden Ziegelsteinen gebaut. Wer da einen Nagel in die Wand schlagen wolle, müsse bisweilen erst ein Loch in die Wand bohren, um die Aufhängung zu befestigen.

Werner Koch (l.) und Karl Padurschel sind in Rohdenhaus zu Hause.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Die Arbeitersiedlung des Kalkwerks Flandersbach entstand im Bereich der Flandersbacher Straße in den Jahren 1907 und 1908. Zwischen 1910 und 1912 folgten die Gebäude am Kliff. Die Arbeitersiedlung besteht aus drei Häuserreihen. Bauherr waren die 1903 von August Thyssen gegründete Rheinische Kalkwerke GmbH Wülfrath, die ihren Arbeitern Betriebswohnungen und einen möglichst nahen Wohnsitz am Arbeitsplatz ermöglichen wollte. In die Wohnungen wurden auch angeworbene Arbeiter aus Italien und Polen untergebracht.

Als gebürtiger „Rohdenhauser Junge“ kennt Karl Padurschel die Entwicklung der Arbeitersiedlung aus nächster Nähe, er wurde 1939 gleich in Sichtweite der Siedlung geboren, 1968 wohnte er auch vorübergehend in einer der Werkswohnungen. „Früher war hier ja alles Ackerfläche“, erinnert sich der Vorsitzende des Pensionärsvereins Kalk Wülfrath. Als kleines Kind war die Siedlung sein Spielplatz, immer wieder sei er mit Freunden auf das Gelände des damals noch nicht so stark gesicherten Kalkwerks gegangen, um dort „ihr Unwesen“ zu treiben, wie Padurschel mit leichter Ironie erzählt.

Nach Einschätzung von Experten und Ortschronisten sind die Werkswohnungen am Kliff „eine mustergültige Siedlung“, weil dort die Gartenstadtidee verwirklicht wurde und unterschiedliche Haustypen gebaut wurden. So umfassen die Endhäuser und das Mittelhaus der Reihe größere Gebäudekomplexe. Dazwischen liegen kleinere Haustypen, die allesamt individuell gestaltet sind. Das bestätigt auch Padurschel beim Blick auf die Objekte: „Hier ist jedes Haus in einem anderen Stil gebaut.“

Aus den alten Stallgebäuden wurden später Wohnräume

Die Bautätigkeiten in der Arbeitersiedlung wurden zwischen 1926 und 1928 durch die Errichtung der Kapelle Sankt Petrus-Canisius und der beiden gegenüberliegenden Wohnhäuser zu einem Ende geführt. Zu den Häusern gehörten ursprünglich kleine Gartenflächen und ein Stallgebäude. Die Mehrzahl der Stallgebäude ist schon lange umfunktioniert worden. Bei Werner Koch findet sich dort mittlerweile das Bad. Überhaupt habe man in dem zweigeschossigen Haus „viel in Eigenregie“ gemacht, erzählt der 80-Jährige. Vor etwa 30 Jahren wurde eine Ölheizung eingebaut und in Betrieb genommen, vorher war mit Kohle geheizt worden. „Das war immer ein fürchterlicher Dreck“, erinnert sich Irmgard Koch.

Die Nachbarschaft zum Arbeitsplatz und die Gemeinschaft mit den Kalkwerkern seien die großen Vorteile der Wohnungen gewesen, erzählt Gatte Werner. Während der Arbeit hätten ihm seine Frau oder seine Tochter immer das Essen in den Betrieb bringen können. „Der kurze Weg zum Arbeitsplatz war schon sinnvoll“, betont Koch. Zudem seien die Mieten immer noch recht moderat.