Ein bebildeter Rückblick auf eine „optimistische Zeit“

Neuer Chronikband entführt in das Wülfrath der 1970er Jahre. Die Autoren Wolfgang Heinrichs und Hartmut Nolte stellten jetzt das Werk vor.

Foto: Michael Bosse

Wülfrath. In gewisser Weise waren die 1970er Jahre „selige Zeiten“: An jeder zweiten Ecke wurde etwas gebaut und eröffnet, die Männer trugen lange „Koteletten“, die Jugendlichen Hosen mit Schlag. So gesehen ist das Titelbild des neuen Chronikbandes „Wülfrath. Die Siebzigerjahre“ durchaus programmatisch. Es stammt vom 2. September 1973 und zeigt den Architekten Gerd Jürgens bei der Grundsteinlegung des Gemeindezentrums Süd — kritisch beäugt von Jugendlichen in Schlaghosen und Männern mit Backenbart.

Foto: Stadtarchiv/Repro: Michael Bosse

Der in diesen Tagen veröffentlichte Chronikband führt in eine Zeit, in der es „viele spannende Entwicklungen und Neuerungen gab“, sagt Autor Wolfgang Heinrichs. „Die 1970er Jahre war eine sehr optimistische Zeit“, betont der Historiker der Bergischen Universität Wuppertal. Das soll auch der jüngste Chronikband zur Geschichte Wülfraths deutlich machen. Nach der Veröffentlichung von „Wülfrath. Die Sechzigerjahre“ (erschienen 2013) geht die Aufarbeitung der Stadtgeschichte chronologisch weiter. Gemeinsam mit dem Stadtarchivar wird nun ein Blick in die nächste Dekade geworfen.

Auch Mitautor Nolte, der als Archivar eigentlich eher eine kritische Distanz zum Forschungsfeld halten sollte, sieht das Jahrzehnt positiv. „Damals herrschte noch Aufbruchsstimmung — das war anders als heute“, sagt er am Rande der Vorstellung des Buches in der Freien evangelischen Gemeinde. Zudem gab es in einer Kleinstadt wie Wülfrath auch keine sozialen Spannungen, die in den 1970er in mancher Großstadt auftraten — ganz zu schweigen von den Auswüchsen des Terrors der RAF.

„Man sieht, dass in Wülfrath damals viel Wert auf Zusammenhalt und Identität gelegt wurde“, erklärt Heinrichs. Zugleich sei es aber auch eine Zeit gewesen, in der die Bevölkerung politisch aktiv wurde. Zudem boten die Vereine der Stadt und auch die Kirchen Möglichkeiten, sich zu engagieren. Gezeigt wird auch, was die Stadtverwaltung unternommen hat, um die Kommune attraktiver zu machen: im Einzelhandel, als Wohnort und als Gewerbestandort.

Auf 130 Seiten widmen sich die beiden Autoren der Stadtgeschichte Wülfraths in den 1970er Jahren. 140 Bilder haben sie zusammengetragen — die Aufnahmen stammen vor allem von dem 1986 verstorbenen WZ-Redakteur Ernst Erbach. In kurzen Texten und zwölf Kapiteln — je Monat eines — werden die historischen Ereignisse abgehandelt.

Während Historiker Heinrichs bei der Vorstellung des Buches für die Analyse zuständig ist, übernimmt Archivar Nolte den Blick aufs lokalhistorische Detail. Er lässt die Lokalgeschichte bei der Vorstellung noch einmal Revue passieren, verzichtet dabei aber auf eine chronologische Darstellung, sondern arbeitet das Feld lieber thematisch ab.

Als erstes nennt er denn das Ereignis, das 40 Jahre später so einigen Bürgern noch am lebhaftesten in Erinnerung ist: die kommunale Neugliederung und Gründung des Kreises Mettmann zum 1. Januar 1975. „Es stand damals auf der Kippe, ob Wülfrath selbstständig bleibt“, sagt Nolte. Der Stadt drohte die Auflösung als eigenständige Kommune und die Aufteilung der Stadtteile nach Wuppertal und Velbert. Am 19. Januar 1974 waren als 3000 Menschen vor das Rathaus gezogen, um gegen die Pläne des Landes zu demonstrieren.

In einem Volksentscheid sprachen sich 93 Prozent der Bürger für die Selbstständigkeit aus. Das respektierte die Landesregierung, allerdings musste Wülfrath „einige Federn“ lassen, erinnert Nolte. Die Stadtteile Dornap, Hahnenfurth und Düsseler Höhe kamen zu Wuppertal, die Obere Flandersbach und der Großteil von Rützkausen zu Velbert. Von einem Tag auf den anderen gingen der Stadt mehr als 4200 Einwohner verloren.

Andere Aspekte des Buches befassen sich mit der Sanierung der Altstadt, der Entwicklung von Gewerbe und Industrie oder Kunst und Kultur. Zu sehen ist etwa ein Bild von der Eröffnung des ersten Wülfrather Kaufhauses, das über eine Rolltreppe verfügte (März 1970) — eine Murjahn-Filiale. Auch der Ausbau der Fußgängerzone oder der Bau des Rathauses, des Schwimmbades oder der Müllverbrennungsanlage werden behandelt. Zudem wird auch das Vereinsleben in seinen unterschiedlichen Facetten gewürdigt.