Ein Ei mit einem Innenraum aus Beton und Licht
Die Sommer-Serie der Westdeutschen Zeitung: Neue Steine des Glaubens“ lädt zur Wiederentdeckung moderner Kirchen, Synagogen und Moscheen ein, die oft zu Unrecht im Schatten mittelalterlicher Dome stehen. Teil 3 unserer Serie gilt der Rochuskirche in Düsseldorf.
Düsseldorf. Am Anfang war das Ei, zumindest für Paul Schneider von Esleben (1915-2005) und dessen Pfarrer Peter Dohr, der dem Architekten den Auftrag für St. Rochus in Düsseldorf gab. Das Ei ist eine geniale Erfindung der Natur. Ein abgeschlossenes System, ein Schutzraum, in dem sich neues Leben entwickelt. In allen Kulturen steht es für den Ursprung des Lebens, für Wiedergeburt und Erneuerung. Zugleich ist es wegen seiner Stabilität das Vorbild für den Zentralbau im Orient und Okzident.
PSE, wie sich der Baukünstler gern nannte, liebte die perfekte Form und Konstruktion. Drei Knickschalen aus Stahlbeton verwendete er, um sie in der Kuppel zu einem Kreis zu vereinen. Beim Nähertreten erinnern die parabelförmig gebogenen Betonschalen an aufplatzende Kastanien, durch deren Spalte das Licht ins Innere dringt.
Der neue Bau (1953 -1955) sitzt auf dem alten Gebäude des Joseph Kleesattel, dessen Ruine abgebrochen wurde. Man muss sich diesem Haus Gottes langsam nähern, um die Sprache des Architekten zu verstehen. Geradezu detailversessen bedeckt PSE das Dach mit Kupferplatten wie mit einem Schuppenkleid. Ein Sockel im unteren Bereich besteht aus handgefertigten Ziegeln und wirkt wie eine gerasterte Banderole mit geschwungenen Linien. Die Backsteine springen nach vorn, tänzeln in den Vertiefungen auf und ab. Wie kinetischer Schmuck wirkt diese Partie des Gebäudes. Die Eiform selbst sitzt ruhig auf, die Gewichte des Stahlbetons betonend. Wo die Betonschalen auf die Kreise der unteren Ebene treffen, liegt das Dach wie das Schößchen eines Kleides über dem Kreuzgang. In derlei Schmuckelementen kommen die Anfänge des PSE zur Geltung, der schon seine Ferien als Schüler in Kunst- und Silberschmiedewerkstätten verbrachte und gleich drei Disziplinen der Mauerei, Schreinerei und Zimmerei erlernte.
An den Türgriffen und dem marmornen Taufbecken des Bildhauers Ewald Mataré vorbei geht es ins Kircheninnere, wo Matarés Hinterglasbilder sehr dezent an den Innenwänden des Unterbaus befestigt sind. Eine Riesenhalle aus Sichtbeton öffnet sich. Eine Architektur als theologische Idee, mit den drei paraboloiden Betonschalen für die Dreifaltigkeit und den zwölf Säulen der Kuppelstütze als Sinnbild der zwölf Apostel. Doch derlei Verweise auf das Fundament des christlichen Glaubens interessieren plötzlich weniger. Wichtiger ist die Raumwirkung dieses „radikalsten Baus der Nachkriegszeit“, wie es der katholische Theologe Friedhelm Mennekes nennt. Sie bewirkt eine sehr moderne Spiritualität. Der ungeheure Hohlraum wirkt wie ein Resonanzboden. Lichtbänder öffnen sich an den Nahtstellen der Wände.
Eine feine Dynamik ergibt sich in den Ausbuchtungen und Einschnürungen und in den auf- und abgleitenden Höhen des Umgangs. Alles zieht sich zusammen und dehnt sich doch aus. Der Himmel kommt auf die Erde. Die Hülle scheint plötzlich eine Schale zu sein, bereit, das Volk Gottes zu behüten.
Die Kirche ist puristisch. Keine Farbe. Kein Dekor. Keine Kerzen. Keine Pflanzen und Blumen. Keine Ausrichtung nach Osten, keine Längsachse, keine traditionelle Form des Kreuzes als Grundriss. Den Altar hat Pfarrer Heribert Dölle in die Mitte gerückt. Ein quadratischer Kubus. Theologisch ein „Stein des Anstoßes“, wie Dölle es nennt. 28 Meter geht es von dort über dem Grundstein in die Höhe. Nichts verstellt den Blick. Es gibt lediglich die Beziehung zwischen oben und unten, Himmel und Erde, Licht und Dunkelheit. Die sich verjüngenden Betonschalen streben empor, als wollten sie ins Grenzenlose vorstoßen. Die Idee der Ostkirche, die Moschee als Zentralbau, ist hier verwirklicht. Es ist kein Zufall, dass sich Architekten aus aller Herren Länder, auch aus dem Orient, dieses Bauwerk anschauen.
In einer gedachten Mitte hängt die Christusfigur des Ewald Mataré, die 1941/42 für ein Kölner Krankenhaus geschaffen wurde, wo man vor dem modernen Korpus zurückschreckte. Als graziler, abstrahierter Körper in weißer Farbe, mit Wundmalen und ausgestreckten Armen vereint dieser Christus den Gekreuzigten und den Auferstandenen in einem Bild. Die lichte Farbe und das Gold der Krone lassen die Gestalt schwerelos erscheinen. Der Kölner Erzbischof hätte dies am liebsten entfernt.
„Die Rochuskirche ist immer noch unverstanden. Wir müssen die Sprache der Architektur erst lernen“, sagt Pfarrer Dölle: „Sie ist ein Sakralraum für denjenigen, der sich auf diese leere Form einlässt und nach Spiritualität sucht.“ Manche Kirchgänger sind fasziniert, andere weichen lieber in die klassischen Kirchen der Altstadt aus. „Sie ist mir viel zu protestantisch“, warf mir eine Besucherin kopfschüttelnd entgegen.
Vor ihrer kühnen Sprache schrickt selbst der Autor in der Hochglanzbroschüre der Kirchengemeinde etwas zurück. Man habe die Gläubigen „nicht mitgenommen“, als von der Ruine des Kleesattel-Baus nur noch der Westturm übrig blieb, der heute als Kapelle dient. Das Hauptgebäude wurde lange Zeit als Halleluja-Gasometer und „Atommeiler“ verspottet.
Schneider von Esleben machte es seinen Auftraggebern allerdings auch nicht leicht. Er ließ nicht mit sich reden. So entwarf er 1950 die erste Hochgarage im Nachkriegs-Deutschland. Ihre Leichtigkeit und Eleganz beeidrucken noch heute. Es wurde der Auftakt für die Nachkriegsmoderne in Düsseldorf, einer Stadt, die lange Zeit eine Hochburg der einstigen Nazibauer war. Auch Bauherr Franz Haniel zuckte zunächst zurück angesichts dieser neuen Transparenz für ein Gebäude, dessen Fahrrampen für die Autos an bloßen Stahlseilen hingen.
Noch heute wirkt es wie ein Wunder, dass Pfarrer Peter Dohr auf dem Fundament der alten Kleesattel-Kirche den Neubau errichten ließ. Seit 1988 steht St. Rochus unter Denkmalschutz.